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Archiv-Artikel

Ethik geht jetzt endlich alle an

Ab Montag gibt es in allen siebten Klassen das Pflichtfach Ethik. 480 Lehrerinnen und Lehrer sind dafür abgestellt. Die Erziehungsgewerkschaft kritisiert die mangelnde Weiterbildung der Pädagogen

VON MARLENE WOLF

Der vierjährige Streit um den Ethikunterricht in Berlin ist entschieden. Ab Montag werden rund 25.000 SchülerInnen der siebten Klassen „bekenntnisfrei – also religiös und weltanschaulich neutral“, so der Rahmenplan, unterrichtet. Vorbild ist das brandenburgische Fach Lebensgestaltung, Ethik und Religion (LER). Der Religionsunterricht kann in Zukunft nicht mehr anstatt, sondern nur noch zusätzlich zu Ethik gewählt werden.

Fragen wie „Macht Freundschaft blind?“ oder „Was geht es mich an, wenn es anderen schlecht geht?“ oder „Warum kann ich nicht alles tun, was ich will?“ werden im kommenden Schuljahr zwei Mal pro Woche behandelt. Außerdem stehen die Weltreligionen, Nächstenliebe, verschiedene Vorstellungen vom Leben nach dem Tod und die Rolle von Mann und Frau auf dem Programm.

Damit die LehrerInnen auf diese Themen gut vorbereitet sind, gab es ab Februar dieses Jahres zahlreiche Weiterbildungen. Zwischen einem und drei Semestern lang brachte man ihnen im Landesinstitut für Schule und Medien (Lisum) die Inhalte des Fachs näher.

Insgesamt 480 Lehrkräfte seien ab Montag für Ethik zuständig, sagte der Berliner Senator für Bildung, Klaus Böger (SPD), gestern. Gut 230 LehrerInnen besuchen noch Weiterbildungskurse. Äußerungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), an einigen Schulen würden qualifizierte Fachkräfte für das neue Fach fehlen, wies Böger zurück. „Die Lehrer sind nach meiner Überzeugung da“, sagte er.

Rose-Marie Seggelke, die Berliner GEW-Vorsitzende, hat andere Erfahrungen gemacht. Sie wisse von LehrerInnen, die keine Fortbildungsplätze bekommen hätten und trotzdem unterrichten müssten. Außerdem seien einige KollegInnen besorgt, dass sie aufgrund des Lehrermangels an mehreren Schulen parallel eingesetzt werden. Dies sei nicht nur eine große Belastung für die Lehrer, sondern auch für die Schüler, so Seggelke. „Man muss doch ein Vertrauensverhältnis zueinander aufbauen und kann nicht nur für zwei Stunden in der Woche vorbeikommen.“

Dass einige Familien ihre Kinder von dem neuen Pflichtfach befreien lassen wollen, sieht Böger gelassen. Ethik sei ein Fach wie jedes andere, und eine komplette Befreiung sei prinzipiell nicht möglich. Der Rechtsanwalt Reymar von Wedel, der bereits den „Notbund für den evangelischen Religionsunterricht“ gründete, protestiert dagegen. Er klagt vor dem Berliner Verwaltungsgericht für die Befreiung von vier konfessionellen SchülerInnen. Gegen den Unterricht habe er prinzipiell nichts einzuwenden, nur als Pflichtfach sei Ethik für ihn „verfassungsfeindlich“, sagte von Wedel. Der rot-rote-Senat plane hier eine „Indoktrinierung im Sinne des Atheismus“. Für die Befreiung der SchülerInnen sieht er gute Chancen; es habe bereits einen Präzedenzfall gegeben, bei dem sich eine muslimische Schülerin vom Turnunterricht befreien ließ.

Böger hält davon nichts. Das neue Fach „bietet den großen Vorteil, dass sich nun endlich alle Schüler gemeinsam über die verbindlichen Werte unserer Gesellschaft austauschen“, so Böger. Die evangelische Kirche startet ab Montag dennoch eine Plakataktion, in der sie gegen die Verpflichtung zum Ethikunterricht protestiert.