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Archiv-Artikel

„Die Villa vom ‚Judenwerk‘“

GESCHICHTE Die Landesarchäologin berichtet über einen besonderen Fall von „Arisierung“

Uta Halle

ist Professorin für Ur und Frühgeschichte an der Uni Bremen und zugleich Landesarchäologin.

taz: Was für einen Zusammenhang haben Sinalco-Limo und Hansa-Bier auf der einen und westfälische Ziegelsteine auf der anderen Seite, Frau Halle?

Uta Halle: Die Lippische Thonwarenfabrik (Litho) in Dörentrup war seit 1910 vollständig im Besitz zweier jüdischer Familien. Die Firma existierte seit 1897, produzierte Ziegelsteine, Dachpfannen und Drainageröhren und war der drittgrößte Produzent in Westfalen. 1937 wurden die Litho dann mit dem Geld von Sinalco und der Dortmunder Hansa-Brauerei „arisiert“.

Aber was hatten die beiden Getränkehersteller mit Ziegelsteinen am Hut?

Das war auch für mich nicht richtig herauszubekommen. Es hieß, die Firmen wollten wegen des schwachen Auslandsgeschäftes Geld im Inland anlegen. Eigentlich sollte die Litho von einem benachbarten Konkurrenten übernommen werden. Das wollte 1936 auch die Landesregierung. Das war zwar naheliegend, aber nicht im Interesse der jüdischen Inhaber und der Betriebsmannschaft. Also wandten sich die leitenden Angestellten der Litho an Sinalco aus Detmold. Daraufhin war der Konkurrent beleidigt und versuchte, auf verschiedene Weise Druck zu machen und auch ein Parteiausschlussverfahren gegen leitende Mitarbeiter der Litho anzustrengen.

Was geschah nach dem Krieg?

Die neuen Besitzer haben sich zunächst gegen eine Rückerstattung an die früheren jüdischen Eigentümer gewehrt. 1953 kam es dann aber doch dazu. 1973 ging die Litho in Konkurs und wurde später dann doch noch an den Konkurrenten aus Dörentrup verkauft. 1984 wurde das Firmengelände schließlich im Rahmen eine Militärübung platt gemacht.

Was genau interessiert Sie an dieser Geschichte?

Ich bin darauf gestoßen, als ich 1987 in Dörentrup ein Haus gekauft habe. Im Dorf hieß es: Das ist die Villa vom „Judenwerk“. Es war das Haus der früheren Direktoren der Litho. Mich interessiert dabei aber auch, wie der Umgang mit der Geschichte in so einem Dorf bewerkstelligt wird. Ich habe darüber ein Buch geschrieben, der Vortrag läuft im Rahmen des diesjährigen Programmes zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Bremen. Auch wenn die Geschichte mit Bremen nichts zu tun hat.

INTERVIEW: JAN ZIER

19 Uhr, Osterdeich 6, Landeszentrale für Politische Bildung