: Nach der Geburt getrennt
ENTFREMDUNG Privatfunk-Lobbyist Jürgen Doetz kritisiert die Verleger für Kooperationen mit ARD und ZDF im Netz und fordert von ihnen Solidarität gegen die Übermacht. Doch die sehen keinen Grund dafür. Die bizarre Geschichte dieses Streits geht bis in die Anfänge des Privatfernsehens zurück
VON DANIEL BOUHS
Wenigstens 34 Mal im Jahr kann Jürgen Doetz den ganzen Quatsch mal vergessen, für gut 90 Minuten. Wann immer es geht, sitzt der 65-Jährige im Stadion und feuert seine Mannschaft an: den 1. FSV Mainz 05. Doetz ist Vizepräsident des Fußballbundesligisten.
Das Engagement beim Gute-Laune-Verein vom Rhein, der letztes Wochenende in Wolfsburg das Spiel trotz drei Toren Rückstand noch drehte und 3:4 gewann, ist das große Vergnügen von Jürgen Doetz. Seine übrige Zeit verbringt er damit, hauptberuflich gegen ARD und ZDF zu wettern. Doetz ist Präsident des Verbandes privater Rundfunk- und Telemedien in Deutschland, in dem sich Schwergewichte wie RTL und ProSiebenSat.1, aber auch viele kleine private TV- und Radiosender verbündet haben.
Lange war Doetz’ VPRT-Engagement vor allem eines: berechenbar. Bisher nutzte er jede Gelegenheit, um die Öffentlich-Rechtlichen zu verteufeln. Bis zu einer großen Runde Ende Juli vor Journalisten in Berlin. Die trauten ihren Ohren nicht, gab Doetz sich doch milde, was die Kontrolle der Onlineaktivitäten von ARD und ZDF betraf – bis dahin der Dauerbrenner seiner Kritik.
Im Grunde sagte Doetz, es sei nicht mehr alles schlecht. Die von ihm sonst für unfähig verkaufte Gremienaufsicht der Sender habe ein gewisses Selbstbewusstsein entwickelt und lasse echtes Bemühen durchscheinen, ARD und ZDF im digitalen Zaum zu halten. Vor allem aber verwunderte der VPRT-Präsident mit ausgiebigen Attacken auf die Verleger. Denen empfahl er „bei allem Respekt“, sich „nicht in bestimmten Punkten zu verlieren und die grundsätzliche Präsenz von ARD und ZDF im Internet in Frage zu stellen“.
Ist es da mit dem Urgewächs des Privatrundfunks, der Anfang 1984 mit einem Sat.1-Vorläufer das erste werbe- und Verleger(!)-finanzierte TV-Programm startete, einfach durchgegangen?
Keineswegs. Der Heidelberger Doetz ist ein Kommunikationsprofi. Beim Pfälzer Tageblatt lernte er das journalistische Handwerk, später diente er dem damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (CDU) als Regierungssprecher. Seit knapp eineinhalb Jahrzehnten ist Doetz Cheflobbyist der Privatsender.
Angezogene Handbremse
Und streitet gar nicht ab, gegen die Verleger gestichelt zu haben, präzisiert die Äußerungen aus dem Hochsommer im Gespräch mit der taz sogar: „Es hat sich in der Zwischenzeit eben einiges verändert“, sagt er etwa, wenn man ihm vorhält, dass er schon seit Weihnachten nicht mehr gedroht hat, gegen die Medienpolitik der Länder vor die EU-Kommission zu ziehen.
Und das mit den Verlegern? Dazu sagt Doetz, man habe „gute Kontakte untereinander, aber leider immer mit einer angezogenen Handbremse“. Dagegen sei das ZDF „ganz erfolgreich damit, den Verlegern eine Allianz des Qualitätsjournalismus schmackhaft zu machen, während es gleichzeitig zum Angriff auf ihre Bastionen bläst“.
Mit anderen Worten: Doetz stört, dass Zeitungen und Zeitschriften mit ARD und ZDF kooperieren, etwa indem sie heute.de und tagesschau.de auf ihren Websites verlinken.
Bei den Verlegerverbänden finden sie das alles wenig lustig. „Es ist irgendwo ein bisschen verwunderlich, dass sich Jürgen Doetz überhaupt zu anderen Verbänden äußert“, sagt etwa Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger: „Normalerweise beschäftigt man sich doch erst einmal mit sich selbst.“ Ausführlich erklärt der BDZV-Mann, wie es zu den absurden Drei-Stufen-Tests kam, diesen neuen aufwändigen Prüfverfahren, denen ARD und ZDF ihre digitalen Angebote unterziehen müssen. Die verkaufe Doetz jetzt als seine Erfindung. Dabei hätten die europäischen Zeitungsverleger schon im Herbst 2002 mit ihrer Beschwerde bei der EU in Brüssel alles ins Rollen gebracht. Doetz sei erst im März 2003 „auf den fahrenden Zug aufgesprungen“, sagt Wolff – „um das Verhältnis mal geradezurücken“, weil Doetz ja „jetzt meint, Ratschläge erteilen zu müssen, wie man in Brüssel Lobbying macht“.
Wolff wundert sich, dass Doetz erst „viel Wind gemacht hat, jetzt aber auf die Bremse tritt und sagt: Vergesst das mal, Schwamm drüber! – und auch noch will, dass wir mit auf die Bremse treten.“ Er glaubt, dass sein VPRT-Kollege „noch andere Spielwiesen oder Problemfelder hat und dafür den Öffentlich-Rechtlichen und den Politikern vielleicht an einer Stelle entgegenkommen will, damit das andere Thema freie Fahrt gewinnt.“
Tatsächlich pochte Doetz in Berlin auch darauf, ARD und ZDF die Werbung zu verbieten – und das deutlicher als je zuvor. Will er, damit das klappt, dass auch die Verleger offensiver mit auf diesen Kurs umschwenken? Zumal seine eigene Partei – Doetz ist seit Ewigkeiten CDU-Mitglied – bei den Plänen für Werbefreiheit bei den Öffentlich-Rechtlichen jüngst eine Kehrtwende vollführte und das Thema nicht mehr so wichtig findet.
Doetz sagt jedenfalls, er wünsche sich ein „gemeinsam abgestimmtes Lobbying“ mit den Verlegern wie auch eine „grundsätzliche Solidarität“. Und kritisiert sie dafür, bisher nur auf einzelnen Baustellen Probleme mit den Öffentlich-Rechtlichen gehabt zu haben. Doetz will „Widerstand gegen die Generallinie von ARD und ZDF: die ungezügelte Ausbreitung in alle Märkte“.
Doch wie realistisch ist dieses Zurücksehnen nach dem Schulterschluss mit den Verlegern aus den Anfängen des kommerziellen Rundfunks? Damals, als Doetz als Geschäftsführer Sat.1 großzog, waren viele Verlage direkt an Sendern beteiligt: Springer an Sat.1, die WAZ-Gruppe an RTL, selbst die FAZ war bei RTL 2 eingestiegen. Heute sind die Verleger – außer Bauer und Burda bei RTL 2 – längst raus aus diesem Geschäft und wollen von Solidarität nichts wissen.
Für den BDZV geht der Kuschelkurs vieler Blätter mit ARD und ZDF „völlig in Ordnung“, sagt Wolff. Im Qualitätsjournalismus sehe er sogar „eine Verbindung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Wo sich die Interessen mit den Privaten deckten, da stimme man sich seit Jahren ab. Mehr aber sei „Wunschdenken“.
Doetz kann dem wenig abgewinnen. Er sei doch auch vor einem halben Jahr mit seiner Kritik an der iPhone-App der „Tagesschau“ den Verlegern beigesprungen. Wolff lässt das kalt: „Wir sind doch nicht zu ihm gegangen und haben gesagt, er möge mal was dagegen sagen.“
Neue Medienordnung
Applaus erntet Doetz also nicht mit seiner Strategie, die Interessen aller privaten Medien zu bündeln, um „gemeinsam kampagnenfähig zu werden“, damit am Ende „nicht der Kampf gegen einzelne Projekte steht, sondern eine neue Medienordnung“. Die soll, geht es nach Doetz, alle Medien im Blick haben und auch mit Suchmaschinen fertigwerden, „weg von der Rundfunkzentrierung der Regulierung“. Und die Verleger sollen beim Sturm aufs medienpolitische Tor mit nach vorne gehen oder wenigstens die Flanken decken.
Dumm ist da nur, dass Jürgen Doetz – anders als bei seinen 05ern – die Verleger nicht einfach eben mal für eine Saison verpflichten kann. Und weil das mit der Mannschaftsaufstellung nicht hinhaut, der VPRT ohne deren Rückendeckung zuletzt immer wieder am Widerstand der Länder gescheitert ist, zieht der Privatsenderverband den Spott der Intendanten von ARD und ZDF auf sich. Ein altgedienter Senderchef nennt ihn gar nur noch den „Club der Verlierer“.
■ Das komplette Interview mit Jürgen Doetz auf www.taz.de