: „Das fühlt sich fast an wie Zensur“
SPONSORING Der Musiker und Regisseur Schorsch Kamerun über die Verquickung kommerzieller und künstlerischer Interessen im Theaterbetrieb
■ Der Musiker: geb. 1963 in Timmendorfer Strand. Lebt seit den frühen 80er Jahren in Hamburg und ist bis heute Sänger der Punkband Die Goldenen Zitronen. Zusammen mit Wolf Richter und Rocko Schamoni betreibt er außerdem den Golden Pudel Club am Hamburger Hafen.
■ Der Theaterregisseur: Er inszenierte an der Volksbühne in Berlin, am Schauspielhaus Zürich, für die Wiener Festwochen, die Münchner Kammerspiele, die Bayerische Staatsoper, die Ruhrtriennale etc.
■ Aktuelle Premiere: Am heutigen Samstag eröffnet das Thalia Theater in Hamburg mit Kameruns Stück „Vor uns die Sintflut“ die Spielzeit 2010/2011.
INTERVIEW TILL BRIEGLEB
taz: Herr Kamerun, die Diskussion über Sponsoren-Finanzierung im Kulturbereich ist in den letzten Jahren regelrecht verstummt. Je mehr öffentliche Institutionen von den Kommunen zur Fremdfinanzierung gezwungen werden, desto weniger hört man dazu. Wie sind Ihre Erlebnisse mit dem Einfluss der Sponsoren?
Schorsch Kamerun: Schon am Anfang meiner Beschäftigung mit dem Theater musste ich lernen, dass öffentlich finanzierte Institutionen nicht nur kleine Förderer, sondern auch Banken und Konzerne als „Partner“ haben, wie das heute so schön heißt. Als ich dann am Schauspielhaus Zürich das Stück „Macht fressen Würde“ inszenierte, auf dessen Plakat ein großes Schweizer Bankinstitut werben sollte, empfand ich das als einen Eingriff in meine inhaltliche Aussage. Glücklicherweise erlaubte mir die damalige Kointendantin Stefanie Carp, deren Logo ordentlich zu „bearbeiten“. Vermutlich kein Einzelfall? Vergleichbares habe ich seitdem häufiger erlebt. Es entstehen immer wieder Interessenkonflikte zwischen den inhaltlichen Aussagen eines Projekts und dem kommerziellen Rahmen, der über die Sponsoren hinzugefügt wird – meist ohne die Möglichkeit des Künstlers, auf diese Verquickung Einfluss zu nehmen. Überspitzt ausgedrückt ist das so, als würdest du ein Brecht-Stück inszenieren, und von einer Bank promotet werden. Protestieren Sie dann? Ja, aber über diese Vorgänge gibt es Verträge, die man angeblich nicht mehr ändern kann. Und die Verantwortlichen im Theater sagen klar, sie benötigen über die staatlichen Förderungen hinaus private Zuwendungen, um zu überleben. Das finde ich – unabhängig von meiner eigenen Befindlichkeit – auf eine Art ungewollten Bürgerbetrug. Denn wie auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zahle ich meine Gebühren eigentlich dafür, dass ich dort nicht mit privat-ökonomischen Interessen behelligt werde. Diese zunehmende Vermischung erscheint mir als ein ziemlich ungeklärter Graubereich. Haben Sie Erfahrungen mit Konzessionen, die von Staatstheatern an Sponsoren gemacht wurden? Ich habe es im Theater selbst nicht erlebt, dass konkret zensierend in meine Arbeit eingegriffen wurde. Aber ich kenne Situationen, wo Sponsoren Druck und Einfluss auf subventionierte Institutionen ausgeübt haben. Grundsätzlich finde ich, geht es aber schon zu weit, wenn mein Inhalt durch die Verbindung mit bestimmten Marken eingefärbt wird. Ich weiß aber auch, dass es da überwiegend ein wesentlich schmerzfreieres Empfinden gibt. Im popkulturellen Umfeld ist das doch ungleich drastischer? Ich habe das Staatstheater in diesem Punkt bisher als großen Freiraum empfunden, gerade im Vergleich zu dem sogenannten Independent-Musik-Bereich, aus dem ich komme. Räume, die unangestrichen sind von Markeninteressen, gibt es dort kaum noch. Wenn wir mit den Goldenen Zitronen auf einem Festival spielen, dann hängen meistens rechts und links der Bühne große Werbebanner. Im Theater ging das bisher noch ganz gut ohne. Diesen luxuriösen Status darf man nicht leichtfertig aufgeben! Fühlen Sie sich dadurch in Ihrer Integrität verletzt? Vor allem in meiner Aussagefreiheit. Es war immer mein Bestreben, dass ich ungefärbt bestimmen kann, welche Inhalte ich formuliere. Die Goldenen Zitronen hatten nie einen großen Plattenvertrag, weil wir keinem Multikonzern angehören wollten, der im schlimmsten Fall auch mit Waffen handelt. Und wenn jetzt auf meinem Plakat eine Bank oder eine Versicherung auftaucht, dann ist das ein Inhalt, der deutlich in meine Veröffentlichung hineinspielt. Das fühlt sich fast an wie Zensur. Was tun? Meiner Meinung nach gehört dieser massiver werdende Einfluss der Sponsoren im öffentlich subventionierten Bereich deutlich zurückgedrängt. Stattdessen aber weitet er sich in alle Richtungen aus. In London gibt es Fahrradwege in dem strahlenden Blau der „Barcley’s Bank“. In der EU lässt sich bereits Wasserversorgung privatisieren, und Bertelsmann hat in England die gesamte kommunale Verwaltung eines Landkreises übernommen …
… und startet jetzt auch ein Pilotprojekt in Würzburg. Das heißt, der Einfluss privater Unternehmen auf öffentliche Belange greift immer weiter. Und das betrifft eben auch die Vorgänge in der Kultur. Heute bestimmen sie den Wasserpreis in Wien, morgen Programm und Eintrittspreise der „Wiener Festwochen“. Irgendwann weiß man nicht mehr, auf wessen Pferd man eigentlich sitzt. Man könnte nüchtern auch sagen: Früher hat die Kunst der Fürst bezahlt, dann der Staat, jetzt zahlen die Unternehmen. Steuern sind ein demokratischer Vorgang, und wenn die Regierung mit meinem Geld nicht in meinem Sinne umgeht, kann ich sie theoretisch abwählen. Aber mit welchem Auftrag ziehen die Kulturverantwortlichen der staatlichen Institute los und angeln sich Industriesponsoring, ohne Rechenschaft darüber abzugeben, welchen Einfluss diejenigen erhalten, die das Geld geben? Was halten Sie für die Interessen der Sponsoren? Im ersten Schritt geht es ihnen um Imagetransfer, indem sie durch die Glaubwürdigkeit der Institutionen und ihrer Kreativen an Ansehen gewinnen. Und diese Einflussnahme wird immer subtiler. Weil die Marketingexperten längst verstanden haben, wie gut gerade das kritische Potenzial zu verkaufen ist. Die finden es chic, wenn ein Künstler „Kapitalismus ist Scheiße!“ propagiert. Die provokanteste Kunst landet heute zuerst im Museum – das haben die verstanden. Und das macht die Situation als Künstler komplizierter. Im zweiten Schritt gibt es dann echte inhaltliche Einmischung. Mir sind Fälle bekannt, wo im Sinne des Sponsors an öffentlichen Häusern zensierend eingegriffen wurde. Öffentlich erzählt werden solche Vorgänge aber nicht, da es die Arbeit der Betroffenen und die Finanzierung der Kunst gefährde. Herrscht ein Klima der Angst, über diese zwielichte Selbstzensur zu sprechen? Auch ich möchte keine Namen nennen. Auch weil es falsch wäre, exemplarisch Leute zu benennen bei einem solch breiten Vorgang – und außerdem ist Öffentlichkeit ein so großer Verstärker. Es geht nicht um Schuldige, sondern um ebenfalls Bedrängte. Viele der Verantwortlichen im Kulturbereich befinden sich selbst in einem Gewissenskonflikt. Deswegen ist es richtig, darüber relativ allgemein zu sprechen. Nämlich? Die großen Theater thematisieren anhaltend Kritik am neoliberalen System, am gierigen Kapitalmarkt – gerade zuletzt, während der Finanzkrise. Gleichzeitig werden sie aufgefordert, sich von diesen Krisenunternehmen in wachsenden Anteilen mitfinanzieren zu lassen. Da geht doch was nicht zusammen. Vielleicht habe ich ein etwas altmodisches Empfinden, aber ich meine, man kann nur dann glaubwürdig argumentieren, wenn man klarmacht, wie widersprüchlich die Situation im eigenen Bereich ist. Ich sitze da durchaus im Glashaus. Deswegen kann es mir auch nicht darum gehen, die Theater anzuklagen, weil sie sich irgendwo Geld organisieren müssen, sondern eher zu fordern, dass der Kulturbereich so viele Subventionen braucht, dass er sich selbst vor der Einflussnahme der Wirtschaft schützen kann. Was wäre, wenn die Bundeswehr losziehen würde und sich ihre Geräte über Sponsoring finanzieren würde? Oder wenn wir unsere Regierungsgeschäfte von Air Berlin bezahlen ließen? Übertragen auf unsere öffentlichen Theater, ist das mittlerweile der Normalzustand. Man wird zum Markenträger und Imageverstärker, ob man will oder nicht. Die entscheidende Frage wäre, wie man die Verhältnisse transparent macht. Der Kampf um ein konsequent autonomes Selbstverständnis ist bei diesem Thema vermutlich verloren. Deswegen müssen wir Kunstschaffenden umso dringender klären, dass wir mit unserer Arbeit weiter auch Dinge sagen können, die vielleicht sogar gegen die wirtschaftlichen Interessen unserer Auftraggeber laufen, und dass dies absolut unverschmiert geschehen muss. Und das sehe ich mittlerweile nicht mehr vollständig gewährleistet. Und wenn das nicht mehr geht? Die letzte Konsequenz müsste sein, dass ich mir überlege, ob ich so weiterarbeiten will. Oder eben nicht. Diesen Schritt empfinde ich momentan aber noch als zu hart. Jedenfalls muss der Versuch wieder unternommen werden, das Geschehen auf einem derart unklaren Feld lebendiger zu thematisieren. Denn die öffentliche Hand muss sich dringend bewusst werden, dass sie mit dem eingeschlagenen Weg einen wichtigen Teil unserer Freiheit aufs Spiel setzt.