: Der Junge soll auch noch eine Zukunft haben
ENDLAGER Der Energiekonzern Vattenfall will in Brandenburg CO2 unterirdisch einlagern. Kaum jemand rechnete mit Widerstand vor Ort. Jetzt wird er laut
■ Die Methode: CCS steht für Carbon Dioxide Capture and Storage, also Kohlendioxidabscheidung und -speicherung. CO2 aus Kohlekraftwerken soll in unterirdischen Gesteinsschichten gelagert werden und nicht in die Luft gelangen.
■ Die Politik: Um den Einsatz von CCS zu ermöglichen, braucht es ein Gesetz. Zum Entwurf von Schwarz-Gelb fand vergangene Woche eine Anhörung im Wirtschaftsministerium statt.
■ Die Kritik: Umweltverbände haben Sicherheitsbedenken. Zudem kritisieren sie, dass Millionen Euro in die CCS-Technik fließen statt in erneuerbare Energien.
VON INA BRZOSKA
Zu Honeckers Zeiten, da hätte er vielleicht gedacht, dass der ganze Protest nichts bringt. Landwirt Manfred Wercham, 56, hat in der DDR miterlebt, wie die Bagger anrollten, damals wurden ganze Dörfer für den Braunkohleabbau umgesiedelt. Jetzt will der Energiekonzern Vattenfall flüssiges Kohlenstoffdioxid unter brandenburgische Erde pressen, um seinen Ausstoß an Treibhausgasen zu senken. CCS heißt die Technologie.
Wercham, der kräftige Bauer mit dem festen Händedruck, hat Angst. Wenn das Gas erst einmal da unten sei, könne es durch undichte Stellen in den Boden hinein entweichen. „Dann ist unsere Existenz dahin“, sagt er. Der Weizen, der Raps, alles. Seit einigen Jahren lernt er seinen 23-jährigen Sohn an. Er will, dass der Junge in seiner Heimat eine Zukunft hat. „Ziviler Ungehorsam ist doch erlaubt, in einer Demokratie“, sagt Wercham.
Es sind neue Stimmen des Protests, die sich in diesen Wochen in Ostbrandenburg zu Wort melden. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass sie so laut werden. Vor allem Vattenfall nicht. Seit Monaten erprobt der Energiekonzern in Brandenburg die CCS-Technologie, setzte im Ort Ketzin die erste Testanlage auf deutschen Boden. Die Forschung zur Methode läuft bereits seit einigen Jahren – ein Zeichen dafür, dass die Verpressung von Kohlendioxid und das dafür nötige Gesetz kommen. Die Europäische Union fördert das Projekt mit über 150 Millionen Euro. Bei Braunkohleverbrennung soll das Treibhausgas abgeschieden und unterirdisch gespeichert werden. 1.000 Meter tief könnten mehrere Millionen Tonnen flüssiges Kohlendioxid tausend Jahre sicher ruhen. Vattenfall will 30 Jahre haften.
Ostbrandenburg schien dem Energiekonzern ein sicheres Terrain, nicht nur aus geologischen Gründen. Der Landstrich ist dünn besiedelt, junge Menschen ziehen weg, Alte werden immer älter, Dörfer sterben aus. „Wie oft mussten wir stillhalten“, sagt Landwirt Manfred Wercham. In den fünfziger Jahren wurden die Bauern enteignet; später, als schwarzer Staub aus den Kraftwerken auf die Bodenfrüchte rieselte, sollte er das als wirtschaftlichen Fortschritt bejubeln.
T-Shirts mit Gasmasken
Aber dieses Mal, 2010, wehren sie sich. Allein in der Region Oderbruch haben sich 100 Bauern gegen die Pläne von Vattenfall zusammengetan. Für 30.000 Hektar Ackerland haben sie ein Erkundungsverbot ausgesprochen, nach dem Vorbild von Landwirten im dänischen Jütland. Die schafften es, den Konzern nachhaltig von den Feldern fernzuhalten. An den brandenburgischen Höfen hängen Protestbanner, zu Demonstrationen tragen sie gelbe T-Shirts mit Gasmasken-Aufdruck. Sie fahren mit Traktoren zum Brandenburger Tor, bombardieren Volksvertreter und Vattenfall mit E-Mails. Wer ihre Äcker vermüllen will, dem wird das Computer-Postfach verstopft, sagen sie.
Dass der Protest in Brandenburg wächst, liegt an zwei Formen der Vernetzung, die neu sind. Bauern, die um ihren Acker fürchten, arbeiten zusammen mit Zugezogenen, die ihre Landidylle in Gefahr sehen. Mit Künstlern, Musikern, jungen Familien, die aus der Stadt aufs Land kamen, um in der Natur zu leben. Sie haben Häuser gebaut, in Grundstücke und in eine Zukunft investiert. Inzwischen mahnen Wasserbetriebe vor verunreinigten Böden. Immobilienfirmen meckern, dass der Wert der Grundstücke sinkt. Tourismusvereine bangen um Ausflügler, in den letzten Jahren wurde viel Geld in Fahrradwege, historische Altstadtkerne und große Thermen gesteckt. Der Landstrich bastelt gerade am neuen Image. Es gibt immer mehr Biobauernhöfe, die Radtouristen kommen, um in den sauberen Seen zu baden. Menschen, die hier leben, fürchten sich vor dem Stigma der Endlagerregion.
„Wir sehen doch, wer zahlen muss, wenn eine Umweltkatastrophe passiert“, sagt Udo Schulze, Sprecher einer Bürgerinitiative, mit Blick auf die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko. Mehrere zehntausend Unterschriften haben Schulze und seine Mitstreiter gegen CCS gesammelt.
Der Gedanke an Erdölopfer steht für die zweite, neue Brücke, die sie schlagen – die zu anderen Bewegungen. Die Bürgerinitiativen solidarisieren sich mit Umweltschützern aus Norddeutschland und mit Gruppen, die gegen Kohleabbau protestieren. Denn wenn die Verpressung erlaubt wird, heißt das auch, dass der Braunkohletagebau fortdauert.
Von Jan Petersen, dem Dorfkünstler des Ortes Pfaffendorf, kam der Einfall, auch die Verbindung zu den Atomkraftgegnern zu ziehen. Neuerdings leuchten in der Region Märkisch Oderland gelbe Andreaskreuze, man kennt sie aus dem Wendland. Mit Farbe und Latten aus dem Stall sei der Ungehorsam schnell erzeugt, so Petersens Idee. „Wehrt euch!“, mahnte er seine Nachbarn. Inzwischen stehen über 40 gelbe Warnschilder auf Äckern, an Alleen und Zäunen. In der Region um Petersens Heimatort sollen 6 Millionen Tonnen flüssiges Kohlendioxid eingelagert werden. Die Bürgerinitiative errechnete, dass das einem Tankgüterzug von 4.000 Kilometern Länge entspricht, den man unter die Erde bringen müsste.
Mit ihrem Protest machen die CCS-Gegner Druck auf die Linkspartei. Sie hatte vor der Wahl in Brandenburg versprochen, die Kohlendioxidverpressung zu verhindern, und zaudert jetzt, da sie an der Macht ist. Dabei hätte die rot-rote Landesregierung durchaus Einfluss. Der Gesetzesentwurf zur CCS-Technologie sieht bei der Standortwahl eine Beteiligung der Länder vor. Im letzten Jahr nutzte eine Bürgerinitiative in Schleswig-Holstein diese Nische und kippte das Gesetz vorerst.
Kürzlich besuchte Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers betroffene Gemeinden. Dem Linke-Politiker haftet der Ruf an, ein Büttel von Vattenfall zu sein. Irgendwann stand der Minister im Kreis der Protestierenden, hörte sich die Beschimpfungen an und rauchte eine Zigarette nach der nächsten. „Der hat gezittert vor Angst“, sagt Dorfkünstler Petersen. So weit sind sie gekommen.