: Studieren gegen die Armut
ENTWICKLUNG Ein Studium könnten sie sich nie leisten: Mithilfe eines Stipendiums gelingt einigen Nachkommen der Maya in Guatemala dennoch der Sprung an die Universität. Das Geld dafür kommt auch aus Deutschland
AMALIA MARIBEL ARGUETA, ERSTE STUDENTIN IN CASERIO SÚJAL
AUS CASERIO SÚJAL KNUT HENKEL
María García, eine rundliche Frau mit breiten Wangenknochen, rührt in einem großen Topf mit Maisbrei, der auf dem offenen Feuer brodelt. Stolz zeigt sie zum Haus ihrer Nachbarn. Deren Tochter Amalia ist die erste Studentin im Dorf. „Sie ist ein wichtiges Beispiel, denn ohne Bildung kommen wir nicht aus dem Abseits“, sagt García.
Caserio Sújal ist ein abgelegenes Dorf im Nordwesten Guatemalas. Ein Rathaus, eine Sozialstation oder einen Gesundheitsposten gibt es hier nicht. Die meisten Bewohner sind Nachfahren der Maya und wie García Analphabeten.
„Ich wollte immer studieren, aber das können wir uns eigentlich nicht leisten“, sagt Garcías Nachbarin, die 24-jährige Amalia Maribel Argueta. „Schauen Sie sich um. Hier sind alle Leute arm, und wer dreimal am Tag etwas zu essen bekommt, hat Glück gehabt.“ Sie zieht die kräftigen Schultern hoch.
Um Guatemalas indigene Bevölkerung zu fördern, die im Bildungssystem traditionell benachteiligt ist, hat die private Jesuitenuniversität Rafael Landívar ein Programm aufgelegt, welches sich „Stipendien für den Frieden“ nennt. Das Geld für die Stipendien kommt auch aus dem Ausland, von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).
Guatemala hat in den letzten hundert Jahren einen 36-jährigen Bürgerkrieg und mehrere Drogenkriege erlebt. In der größten Volkswirtschaft Zentralamerikas lebt über die Hälfte der Bevölkerung in Armut. Ein Ziel der „Stipendien für den Frieden“: die Entwicklung in den Dörfern und das Engagement der Bewohner für ihre Gemeinden zu fördern.
Amalia studiert an der Universität Rafael Landívar in Huehuetenango, einer Provinzstadt mit rund 100.000 Einwohnern im Norden Guatemalas. Dort unterhält die Jesuitenuniversität Rafael Landívar einen ihrer insgesamt zehn landesweiten Campusse.
„Nur vierzig Prozent der indigenen Kinder schaffen es in die siebte Klasse“, so Olvidio Parra, der Koordinator des Stipendienprogramms in Huehuetenango. Sprache ist dabei eine Hürde, denn immerhin werden im Verwaltungsbezirk Huehuetenango gleich sieben indigene Sprachen gesprochen. Das größte Hindernis aber sei, dass den Familien das Geld für eine gute Ausbildung fehle und die indigene Bevölkerung immer noch diskriminiert wird. „Da setzen wir an“, erklärt Parra. „Mit den Stipendien und mit umfassender Bildung, denn nur wer sich auskennt, kann für die eigenen Rechte eintreten.“
Amalia ist das drittälteste von sieben Kindern. Ihre Mutter ist Marktfrau, ihr Vater Bauer. Er baut rund um die Lehmkate der Familie Mais, Gemüse und Kaffee für den Eigenbedarf an. „Schon das Geld für Stifte und Schulhefte war manchmal ein Problem“, erinnert sich Amalia. Doch ihre Mutter Julia Olanda hat dieses Geld immer irgendwie zusammengekratzt, denn sie wollte, dass ihre Kinder die Schule besuchen, um aufzusteigen und der Armut zu entfliehen.
Amalia, die immer gute Noten nach Hause brachte, ergriff die Chance. Sie machte zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester. Eines Tages traf Julia Olanda auf dem Markt von Huehuetenango den Verantwortlichen für die Koordination der Stipendien an der Universität Rafael Landívar, Olvidio Parra. Sie kamen ins Gespräch.
Als sie am Abend nach Hause kam, berichtet Julia Olanda ihrer Tochter aufgeregt, dieses Programm sei wie gemacht für sie. Die Stiftung fördert gezielt junge Frauen, in dem sie Gebühren für Studium, Fahrt und Bücher übernimmt und sogar noch etwas zum Unterhalt der Familien beisteuert. „Das ist wichtig, denn ich trage zum Familieneinkommen bei, und das kann ich nicht, wenn ich auf dem Campus bin,“ erzählt Amalia. Im Jahre 2009 bewarb sie sich für ein Stipendium und bekam im Jahr darauf die Zusage.
Seitdem belegt Amalia am Freitag, Samstag und Sonntag in Huehuetenango Blockseminare in Sozialpädagogik, Verwaltungslehre oder Erziehung. „Ich würde gern einen Gesundheitsposten in Caserio Sújal aufbauen, denn hier gibt es keine Infrastruktur“, sagt die selbstbewusste Frau. Sie arbeitet bereits im Gesundheitsposten des Nachbardorfes Pueblo Viejo als Krankenschwester.
Viele ihrer Kommilitonen wollen nach dem Studium in der Region bleiben und hier etwas voranbringen. Der 34-jährige Familienvater Domingo Calmo Pablo hat gegen den Willen seines Vaters die weiterführende Schule besucht. Heute fährt er von seinem Dorf Aldea Chicoy jede Woche rund zweieinhalb Stunden zum Studieren nach Huehuetenango. Seit Kurzem gibt es in Aldea Chicoy eine Agrargenossenschaft. „Wir treten gemeinsam auf, verkaufen unsere Produkte en gros und erzielen so bessere Preise“, erklärt Calmo Pablo und rückt den breiten Kragen seines traditionell bestickten Hemdes zurecht. Der Zusammenschluss der Bauern sei ein Schritt in eine bessere Zukunft.
Amalia wird in wenigen Monaten ihr Diplom in Sozialpädagogik machen. Wenn sie wie heute zuhause ist, lernt sie mit ihrem neunjährigen Bruder für die Schule.