: Und heute heißt es Wende
RITUALE Der Besuch der deutschen Regierungsdelegation in Israel zeigt: Ein scheinbar unlösbarer Konflikt erzeugt nur noch Worthülsen. Doch es gibt auch Hoffnung
VON ANJA MAIER
Am Ende wird das Foto gemacht. Sowohl die israelischen als auch die nach Jerusalem gereisten deutschen Kabinettsmitglieder reihen sich dafür auf. Ganz vorn posieren Kanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Lächeln, Händedruck, Klick. Ein Gruppenbild als Beleg für erfolgreich gehabte deutsch-israelische Regierungskonsultationen.
Tatsächlich hat Angela Merkels Reise vor allem Symbolwert. Gerade bemüht sich US-Außenminister John Kerry um die so oft zitierte „Friedenslösung im Nahen Osten“. Da ist es gut, wenn die Kanzlerin und ihre MinisterInnen sichtbar Tagespolitik machen. Es geht in Jerusalem also um konsularische Unterstützung für israelische Bürger im Ausland, aber auch um Wissenschaft oder Arbeitsgenehmigungen für Israelis und Deutsche. Lauter Schritte auf dem Weg Richtung Normalität, die es eigentlich kaum geben dürfte zwischen Deutschland und Israel.
Man spürt den dissonanten Kern bei der Pressekonferenz von Merkel und Netanjahu. Während der Ministerpräsident gestenreich seinen Wunsch nach einer „friedlichen, sicheren, stabilen Welt“ darlegt, guckt die Kanzlerin absolut konzentriert. Kein Wunder. Jedes Wort, jede Geste könnte jetzt fehlinterpretiert werden. Gesenkten Blickes betrachtet Merkel ihre auf dem Tisch abgelegten Hände. Ihre Miene bleibt reglos, als Netanjahu die iranische Bedrohung skizziert und sagt: „Ich weiß, das besorgt Sie, Angela.“
Als Merkel das Wort hat, erwähnt sie zuallererst die „schnelle Lösung“ bei den „noch ausstehenden Ghettorenten“ für jüdische Ghetto-Arbeiter. Wir schreiben das Jahr 2014.
Dann erläutert sie die zwischenstaatlichen Vereinbarungen. Es folgt der außenpolitische Teil, auf den alle warten. Es geht um den Nahen Osten, um einen Frieden, an dem doch alle interessiert seien. Angela Merkel mahnt eine Lösung des Streits um jüdische Siedlungen in den Palästinensergebieten an.
Es prasseln nun Wortgebilde in den Raum, die so oft gebraucht wurden, dass sie sich wie eine zähe Schicht über das Gemeinte legen. Zweistaatenlösung. Territoriale Integrität. Friedliche Koexistenz. Anerkennung.
Man lauscht und fragt sich, ob derlei politische Termini bei den Betroffenen noch etwas auszulösen vermögen. Bei den Israelis, bei den Palästinensern, bei den Diplomaten, den Armeeangehörigen. Wenn ja, was? Zuversicht? Resignation? Zynismus?
Es ist schon bemerkenswert, wie sehr ein vor Ort überall sichtbarer und spürbarer Konflikt zu sprachlichen Allgemeinplätzen geronnen ist. Das Rituelle sorgt hier für ein Weniger an Gefühlen. Mauern und Zäune, offen getragene Waffen, Taschenvisitationen an jedem Supermarkt-Eingang, Tote und Traumatisierte – das alles ist gelebte Realität in Israel und Palästina. Aber dies alles in fühlbare, verstehbare Worte zu kleiden ist nach Jahrzehnten nahezu unmöglich geworden. Warum eigentlich?
Möglich, dass historische Konflikte sie brauchen, diese entleerte Sprache. Als Stütze für Undenkbares. Bekanntlich gab es ja hierzulande bis 1989 die „deutsche Teilung“. Auch da ging es um Souveränität, Anerkennung, Koexistenz. Sogar ein „Zweistaatenkonzept“ existierte. Glattes Begriffsbesteck, benutzt von Anzugtypen.
Daran, dass das Wort „Wiedervereinigung“ tatsächlich irgendwann einmal das Fallen von Grenzen meinen könnte, glaubte ernsthaft niemand. Am Ende ist es aber doch passiert. Und heute heißt das Wende.