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Archiv-Artikel

Krimi, Küken, Kommissionen

SCHLAGLOCH VON MATHIAS GREFFRATH Gibt es in Zukunft riesige Mastställe mitten in Berlin und München?

Mathias Greffrath

■ ist freier Autor für Print und Hörfunk. Zurzeit entdeckt er bei seinen Recherchen in Verdun und im Argonnerwald die Vorzüge nicht hybrid gezüchteter Hähnchen.

Gegen zu viel Ohnmachtsgefühl hilft der Kriminalroman. Da klicken die Handschellen rechtzeitig, wenn der Hühnerbaron, in dessen Ställen Geflügel und Leiharbeiter gequält werden, es zu weit treibt. Der siebte Fall des von Wolfgang Schorlau erfundenen Privatermittlers Dengler wird hiermit nachhaltig als Einstieg in die informierte Empörung über Massentierhaltung empfohlen. Der Roman heißt: „Der zwölfte Tag“.

Einbrüche, Entführungen, verdeckte Kameras, Schlägerbanden, White-Collar-Sadisten – all das ist gut recherchiert. Und auch semantisch nah an der Realität: Der abgrundböse Schlächter im Krimi heißt Carsten Osterhannes; der größte deutsche Geflügelindustrielle Paul-Heinz Wesjohann. Und beider volksfreundliches Credo lautet: „Die moderne Geflügelzucht ist eine große soziale Tat. Ein Hähnchen kostet heute genauso viel wie vor 50 Jahren, während sich die Einkommen vervielfacht haben.“

Die Moral des Massenzüchters

Gegen zu viel Komplexität hilft die Moral, aber in Zeiten der patent- und chemiegestützten Agrarökonomie ist gerade die arg unterkomplex. So ist der Wiesenhof-Patriarch Wesjohann, so die radikalen Tierschützer von Peta, ein „sehr, sehr feiner Mensch“. Hört man diesen oldenburgisch bieder über die Zwänge des Marktes und seinen Kummer reden, dass der Konsument keine Biohähnchen kauft, dann glaubt man ihm aufs Wort – dass er das glaubt. Aber auch der moralischste Kapitalist, so steht es ja im Vorwort zum „Kapital“, bleibt „Geschöpf der Verhältnisse“. Natürlich hat man bei deren Formulierungen seinen Einfluss geltend gemacht, vor allem aber bleiben die Voraussetzungen und Nebenfolgen des Hühnchenbusiness jenseits des Verantwortungshorizonts: die Schlepperbanden der Subunternehmer, die wachsende Resistenz von Bakterienstämmen, das versteppte Land der Gensojafelder, die zusammengebrochenen Lokalökonomien in Afrika.

Unsere Empathieorgane springen bei Küken eher an als bei Sojabohnen und bei Ferkeln eher als bei Mais. Aber was für Geflügel und Schweine gilt, das gilt auch für die Produktion von Milch, Tomaten, Gemüse und Kakao: Ohne den industrialisierten Ernährungssektor wäre die Wunderwirtschaft der letzten Jahrzehnte nicht möglich gewesen. Nur weil die Ausgaben für Nahrungs- und Genußmittel sukzessive von 46 Prozent (l953) auf 14,5 Prozent (2011) sanken, konnten immer mehr Automobile, Elektronik verkauft werden. Nicht nur der dumpfe Nackensteakgriller, auch das perfide System ist also süchtig nach billigem Fleisch. Und deshalb, so sagt es Schorlaus Osterhannes, als die Handschellen klicken, werde es weitergehen. „Wir sind die Zukunft. In zehn Jahren werden wir mitten in Hamburg, Berlin, München brüten, mästen und schlachten. Geruchsfrei. Hohe Stückzahlen verringern die Kosten pro Stück – das ist das Credo, gegen das diese Kinder ohne jeden Erfolg anstürmen.“

Die Legislative ist das Problem

Ganz so ist es nicht mehr; das Reden über das tägliche Fleisch und Brot ist immer häufiger eines über Untaten. Aber die Botschaft des Weltagrarberichts der UNO von 2008 hat die Politik bisher nur am Rande erreicht: Die industriell betriebene Landwirtschaft führt in eine Sackgasse.

Nicht die Schurkenstreiche der Osterhannese, sondern das regeltreue Geschäft der Wesjohanns richtet die Erde zugrunde, und deshalb sind die wirklich Verantwortlichen die Regelmacher. Die legen – zuletzt im neuen Koalitionsvertrag – schöne Bekenntnisse zur nachhaltigen Landwirtschaft, gar zum Familienbetrieb ab, aber sie privilegieren nach wie vor die großagrarischen Strukturen, lassen die Gestaltungshebel rosten, die Bodenrecht, Tierschutz, Exportgesetzgebung gegen die Monsantos und Danish Crowns dieser Welt aufbieten. Es sind nicht finstere Motive, die diese Untätigkeit regieren, es ist wohl eher die Resignation vor der Macht der Milliardenlobbys und den – vermeintlichen – Wünschen der Wähler.

Eine Ernährungswende wäre eine Herkulesaufgabe, die vieles ins Visier nehmen müsste: vom Essen in den Familien über das Kochen in den Schulen, die Viehhaltungs- und Abwässerordnungen bis hin zum Kampf um andere Welthandelsregeln. Zu viel und zu unhandlich, als dass eine Partei sich dabei verbrennen möchte. Selbst die Grünen nehmen die wachsende Bewusstheit in der Konsumentenrepublik nicht auf, immer noch paralysiert vom Veggie-Day-Flop.

Die ängstlichen Grünen

Was also tun? Vor mehr als dreißig Jahren nahm sich eine Kommission des Bundestags der Unruhe in der Gesellschaft an und entwickelte im Konsens Szenarien für vier Energiezukünfte, darunter eines, das gänzlich ohne Atom und mit wenig Kohle auskam. Um es umzusetzen, hätte die Gesetzgebung tief in die Gesellschaft eingreifen müssen: in Produktions-, Wohn-, Mobilitäts-, Konsum-, Wegwerf- und Denkgewohnheiten. Vieles davon geschah – in der Zivilgesellschaft.

„Die moderne Geflügelzucht ist eine große soziale Tat. Ein Hähnchen kostet heute genauso viel wie vor 50 Jahren“

In der Politik blieb die Skizze des großen Wurfes fast folgenlos; die großen alten Akteure durften noch zwei Jahrzehnte kaum gestört weitermachen. Erst zwanzig Jahre später kam das EEG, und erst jetzt wird die Energiewende zur halbherzigen Tat.

Und heute? Die Gespräche über Ernährung, die Zuwachsraten der Vegetarier und der fetten Kinder sowie der regionalen Proteste gegen Mastanstalten – all das legt nahe: die Zeit wäre reif für eine politische Agrarwende.

Ein erster Schritt wäre eine Ausformulierung des Weltagrarberichts für Europa und Deutschland – vielleicht wieder im Rahmen einer Enquetekommission, die Pfade hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und Ernährung entwirft. Wer hier vorangeht, würde die Meinungsführerschaft in der zentralen Zukunftsfrage gewinnen.

Für die Grünen wäre es eine Chance, der kargen Zeit der Opposition Glanz und Richtung zu geben, aber es scheint, dass man inzwischen vor großen – und riskanten – Zielangaben so zurückzuckt wie ihre individualistische Mittelschichtsklientel vor Billigfleisch. Dabei könnte es spannend werden wie ein Kriminalroman.