„Ich tue es für mein Gewissen“

Auf der 4. berlin biennale hatte Pawel Althamer das Schicksal von Flüchtlingen am Beispiel des von Abschiebung bedrohten Besir Olcay zum Thema gemacht. Gemeinsam mit den Berliner Kunst-Werken soll für Olcay nun ein Bleiberecht erreicht werden

INTERVIEW NINA APIN

taz: Herr Althamer, Ihre Aktion um einen von Abschiebung bedrohten jungen Kurden heißt „Fairy Tale“. Abschiebepolitik ist alles andere als märchenhaft – eine Provokation Ihrerseits?

Pawel Althamer: Für mich ist die Realität voller Märchen. Ich verwandle, was um mich herum passiert, in Fiktion. Ein Tanz von Obdachlosen auf der Straße, eine Hilfsaktion für einen Flüchtling. Aber eigentlich geht es dabei um mich. Ich selbst musste erfahren, wie es ist, sich in einem fremden Land ohne gesicherten Status aufzuhalten.

Wann war das?

Althamer: Bevor ich Künstler wurde, reiste ich illegal nach Deutschland, um selbst gemachte Strohpuppen zu verkaufen. Es war anstrengend, immer auf der Flucht vor den Behörden zu sein. Das nächste Mal betrat ich ganz legal Berliner Boden, auf Einladung eines Museums. Trotzdem wollte die Polizei eines Tages meine Arbeitserlaubnis sehen. Mein Visum war nicht in Ordnung, ich musste ins Polizeiauto steigen und auf der Ausländerbehörde ein neues beantragen. Eine einschneidende Erfahrung, ich traf einen jungen Polen, der fast weinte, weil er die Papiere nicht verstand. Das ist der wahre Kern des Märchens.

So weit Ihre eigenen Erfahrungen. War der selbstmordgefährdete und in einer Klinik abgeschottete Besir Olcay der ideale Kandidat, da er nicht in Ihr Märchen eingreifen kann?

Markus Müller (Kunst-Werke): Walid Chahrour vom Begegnungszentrum für Junge Flüchtlinge und Migranten hat uns auf das Schicksal der Familie Olcay aufmerksam gemacht. Die Drastik des Falls hat uns überzeugt, Besirs Schicksal ist ein perfektes Beispiel für die Unmenschlichkeit und Willkürlichkeit von Abschiebepolitik.

Althamer: Ich bin da ganz naiv herangegangen. Mein Plan war, auf der Ausländerbehörde einen traurigen Menschen für mein Märchen zu finden. Ich sprach eine junge Frau an, doch sie war Polin und hatte Familie dabei. Ihre Situation als EU-Bürgerin war nicht typisch genug. Also wandte ich mich an Flüchtlingsorganisationen, doch diese verlangten von mir eine Garantie für ihre Schützlinge. Aber ich kann den Leuten ja nicht Aufenthaltserlaubnis und Job versprechen.

Das ist der sensible Punkt an Ihrem Projekt. Sie inszenieren ein Sozialmärchen, doch einen guten Ausgang können Sie nicht garantieren…

Althamer: Meine künstlerische Intuition hat mir von Anfang an gesagt, dass „Fairy Tale“ gut ausgeht. Ich tue es für mein Gewissen. Es gibt viele Menschen, die Hilfe brauchen. Allen kann man nicht helfen, aber irgendwo muss man ja anfangen. Inzwischen unterstützen nicht nur die Kunst-Werke, sondern auch andere Künstler und Institutionen die Aktion.

Wie sieht diese Unterstützung aus?

Müller: Nach der Unterschriftenaktion und den Appellen an den Innensenator versuchen wir nun, den Fall auch außerhalb des Kunstkontextes bekannt zu machen. Das Theaterhaus Mitte probt für den Herbst ein Stück, das sich mit Besirs Flüchtlingsgeschichte befasst.

Aber ist Kunst ein probates Mittel, um ein politisches Problem wie die Abschiebung von Flüchtlingen zu lösen?

Müller: Natürlich ist es Innensenator Körting, der am Ende über die Abschiebung entscheidet. Aber absolute Macht besitzt auch er nicht. Durch Öffentlichkeit kann auch Kunst politischen Druck ausüben. Man kann versuchen, ein Märchen wahrzumachen, oder weiter zusehen, wie Menschen abgeschoben werden, jeder hat die Wahl…

Althamer: …die Wahl, zu bestimmen, wie die Geschichte ausgeht.

Und wenn sie schlecht ausgeht?

Althamer: Sie darf nicht schlecht ausgehen! Besir Olcay muss hierbleiben!

Müller: Selbst wenn er abgeschoben wird, ist damit das Projekt nicht zu Ende. Es gibt tausende solcher Fälle. Die KW und Pawel Althamer wollen ja auch zeigen, dass es sich hier um ein grundsätzliches Problem handelt.

Freut sich Besir Olcay eigentlich über Ihr Engagement?

Althamer: Das weiß ich nicht, bisher habe ich nur seinen Betreuer und seine Familie kennengelernt. Vielleicht treffen wir uns später mal irgendwann.