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Archiv-Artikel

Mindestlohn für Fensterputzer

Gebäudereiniger sollen mindestens 6,36 Euro verdienen. Doch dies gilt nicht für Zeitarbeiter

AUS BERLIN HANNES KOCH

Auf Initiative der SPD soll das Bundeskabinett morgen die Einführung des Mindestlohns für die Branche der Gebäudereiniger beschließen. Nachdem Union und SPD dies im Koalitionsvertrag vereinbart hatten, ließ Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) einen Gesetzentwurf erarbeiten, der 6,36 Euro pro Stunde als Untergrenze in Ostdeutschland und 7,87 Euro im Westen festschreibt.

Die große Koalition überträgt damit das so genannte Entsendegesetz aus der Bauwirtschaft in die Branche der Gebäudereiniger und Fensterputzer. Künftig müssen sich auch Firmen aus dem Ausland an den Mindestlohn halten. Zudem gilt die tarifliche Untergrenze für alle deutschen Firmen, auch wenn sie keinem Arbeitgeberverband angehören. Indem sie den gesetzlichen Mindestlohn definieren, wollen Union und SPD das Absinken der Löhne verhindern, das unter anderem durch den harten Wettbewerb ausländischer Billiganbieter verursacht wird.

Trotz dieses Schrittes, den die Union früher immer abgelehnt hatte, war gestern Kritik aus der SPD-Bundestagsfraktion zu hören. Dort hatte man damit gerechnet, dass Müntefering nicht nur ein Gesetz für die Gebäudereiniger vorlegt, sondern auch die Branche der Zeitarbeitsfirmen einbezieht. „Der Entwurf bleibt deutlich unter den Erwartungen“, hieß es.

Zusammen mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) drängen auch der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) und die Interessengemeinschaft Zeitarbeit (IGZ) auf die Einführung eines einheitlichen Mindestlohns in der Branche. Ein entsprechender Tarifvertrag wurde bereits vereinbart. Arbeitsminister Müntefering hat den Bereich aber auch deshalb nicht aufgenommen, weil die Verhältnisse in der Zeitarbeitsbranche kompliziert sind. Ein dritter Arbeitgeberverband hat mit den kleinen Christlichen Gewerkschaften niedrigere Löhne ausgehandelt. Daher ist noch nicht klar, wo der gesetzliche Mindestlohn für Zeitarbeiter genau liegen könnte.

Gerade die Arbeitsmarktpolitiker in der SPD wollen sich mit dem begrenzten Gesetz aus dem Hause Müntefering trotzdem nicht zufriedengeben. Weil die Zeitarbeit bislang ausgeschlossen ist, könnten die Beratungen des Entwurfs im Bundestag ziemlich lange dauern, wird angekündigt. Darüber hinaus denken manche in der SPD auch über einen Mindestlohn für die Müllwirtschaft nach. Die Gewerkschaft Ver.di hat Tarifverhandlungen mit diesem Ziel für November angekündigt.

Müntefering ist auch deshalb so zurückhaltend, weil er die Position der Union einkalkulieren muss. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) etwa sagt: „Mindestlöhne schaden der Beschäftigung.“ Die Definition einer undurchdringlichen Untergrenze verhindere, dass neue, billige Jobs im Niedriglohnsektor geschaffen würden, so Glos’ liberales Credo. Ähnlich sieht es auch der Wirtschaftsflügel der Union.

Eine gewisse Bereitschaft zum Nachdenken äußerten allerdings die Sozialpolitiker der Union. Ralf Brauksiepe, Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Arbeit und Soziales, vermag zwar „aktuell“ keine Notwendigkeit für weitere Mindestlöhne in anderen Branchen zu erkennen, will sich aber späteren Überlegungen nicht verschließen. Er verweist allerdings darauf, dass es dazu nur komme, wenn Union und SPD gemeinsam „Verwerfungen“ in bestimmten Branchen feststellen würden.

In der Kabinettssitzung am kommenden Mittwoch will Arbeitsminister Müntefering außerdem einen Zeitplan für die Debatte über den Niedriglohnsektor im Herbst vorlegen.

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