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Archiv-Artikel

Eine Reise ohne Ziel

OBEN UND UNTEN Schorsch Kamerun inszeniert „Vor uns die Sintflut“ in der Hamburger Hafencity: ein gut gemeintes Kreuzfahrtstück

Der Chor der Flüchtlinge erinnert im Habitus an einen VHS-Kurs und schwankt zwischen Furcht und dem Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden

Wahrscheinlich ist das Revolutionäre an diesem Abend an der Bar passiert, kurz bevor es zum letzten Mal geläutet hat. Da stand ein Mann im schlabbrigen Pullover und sagte zur Barfrau etwas wie „zwei Glas Wein“ und die Barfrau antwortete: „Ich bin es gewohnt, dass man in ganzen Sätzen mit mir spricht.“ Eigentlich sollte das Revolutionäre im Zelt hinter der Bar stattfinden, dafür hat das Hamburger Thalia-Theater den Regisseur Schorsch Kamerun engagiert. Man hat ihm ein Zelt in der umstrittenen Hafencity gegeben, hervorragende Schauspieler und eine Musikkapelle obendrauf. „Vor uns die Sintflut“ heißt das Projekt, „Von fliehenden Kreuzfahrern und seeräubernden Weltenbummlern“ im Untertitel. Vielleicht hätte diese Vagheit im Untertitel schon eine Warnung sein können.

Der Inhalt ist rasch erzählt: Kamerun versammelt auf der Bühne eine Kreuzfahrtgesellschaft, bestehend aus einer Sängerin, ihrer Freundin, einer Bohèmienne, einem Künstleragenten und einem Reisejournalisten (ein sehr, sehr guter Felix Knopp). Zudem gibt es einen Seemann ohne Seemannsbuch, dem das Schiff weggefahren ist. Der Journalist ist gleichzeitig so etwas wie ein Erzähler, und er stellt schon ziemlich früh am Abend die entscheidende Frage: „Worum geht es hier eigentlich? Eine Seereise? Künste? Reichtum und Armut?“

Um alles ein bisschen und gar nichts wirklich, hätte man ihm antworten müssen. Die Reisegesellschaft, die die Leiche einer Sängerin begleitet – und eher mehr als weniger an Fellinis Schiff der Träume erinnert –, trifft schließlich auf eine Flüchtlingsgruppe, gespielt von einem Chor, auf dem Weg nach Europa, die der Kapitän an Bord nimmt. Die Geliebte der Sängerin unterweist sie in einem Ententanz-verwandten Fruchtbarkeitstanz. Eine Schauspielerin erklimmt als Hummer kostümiert das Schiff und beklagt die Verdrängung der Irren, unterlegt von düsterer Musik. Und schließlich erscheint noch Nadja Tiller als Diva Faba Fabela Tritula, die den Kamerun-Song „Monster regieren diesen Planeten“ singt.

An dieser Stelle sollte man noch einmal würdigen, wer hier auf wen trifft: das Thalia-Theater unter seinem neuen Intendanten Joachim Lux, der dem Schatten seines Übervatervorgängers Khuon zumindest einmal mit der Verpflichtung des Ehemals-Bürgerschrecks Kamerun entkommen will. Kamerun selbst, der mit den Goldenen Zitronen mit dem Stück „Am Tag, als Thomas Anders starb“ für Unruhe sorgte, den Hafenstraßen-Aktivisten nahestand und mit dem Pudel-Club einen der wenigen lässigen Hamburger Treffpunkte betreibt. Und schließlich das Hamburger Thalia-Publikum, das an diesem Samstagabend in einem Bermuda-Dreieck zwischen Elbphilharmonie-Prestige-Debakel, Hafencity-Noblesse und den heranziehenden Straßenschlachten von Polizei und Autonomen im Schanzenviertel sitzt. Und betrüblich erwartbar packt Kamerun auch das noch schnell hinein in seine Kreuzfahrtmetapher von denen dort oben und den Heizern und Flüchtlingen dort unten: die Elbphilharmonie und, weil gerade im Gespräch, die Sarrazin’schen Erbgutfantasien. Was Kamerun an diesem Abend fehlt, ist der Mut zum echten Spektakel, zum Schmerzhaften und Unappetitlichen.

So reiht sich Fellini-Aufguss an vage Sozialkämpferisches, da helfen auch die lichten Momente wenig. Die gibt es, sei es der Monolog der Bohèmienne über das Unterhaltungsreisen – „500 Leistungsträgern beim Ententanz zugeschaut“ –, sei es der Chor der Flüchtlinge, der im Habitus an die Teilnehmer eines VHS-Kurses Norwegisch erinnert und beim Ententanz, gejagt von den aufgekratzten Schauspielern, schwankt zwischen Furcht und dem großen Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden. Da blitzt auf, was Unvorhersehbares hätte stattfinden können, mühelos und gerade darin bemerkenswert. Doch es bleibt ein kurzes Wetterleuchten und so ist der Beifall für Ensemble und Musiker freundlich verhalten, die Regie bekommt Buhrufe.

FRIEDERIKE GRAEFF