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Archiv-Artikel

Zwei Typen für ein Leben

JOHNNY CASH Das Renaissance-Theater begeht den 7. Todestag des Countrysängers mit einer hinreißenden Parodie von Gunter Gabriel

Eine Dame im Publikum bricht in schallendes Gelächter aus

VON HEINRICH DUBEL

„There ain’t no grave can hold my body down.“ Die Vorstellung beginnt mit dem Ende, dem Titelsong des letzten Johnny-Cash-Albums „American Recordings VI“, das in diesem Frühjahr erschien. Auf der Bühne des Renaissance-Theaters, ganz links an der Seite und vom Publikum abgewandt, sitzt im Halbdunkel Gunter Gabriel, Star der deutschen Schlager- und Countryszene, und eröffnet seine Hommage.

„Ain’t no grave“ ist so etwas wie ein Prolog auf die Reanimation des Johnny Cash, die an diesem Abend im Herzen des Charlottenburger Boulevards versucht wird. Minuten später geht plötzlich das Licht an. Die Musiker stehen auf der Bühne und Gabriel verkündet: „Hello! I’m Johnny Cash!“ – Wie bitte? Ist der Mann verrückt geworden? Das Publikum klatscht – schon mit ziemlicher Begeisterung. Gabriel holt das Publikum da ab, wo es gewartet hat. „I walk the line“ ist der erste von mehr als zwanzig Klassikern, die sich an diesem Abend gegen das berüchtigte, typisch deutsche rhythmische Mitklatschen behaupten müssen.

Schnittmengen im Leben

Gabriel, der Johnny Cash 1977 zum ersten Mal traf, trat früher mit deutschsprachigen Versionen von Cash-Songs auf. So coverte er etwa „Wanted Man“ als „Ich werd’ gesucht in Bremerhaven.“ Auf der Theaterbühne lässt er immer wieder deutsche Sentenzen einfließen – bei „Rock Island Line“ zum Beispiel: „I got livestock, I got Frischfleisch …“. Sie akzentuieren die Schnittmenge zwischen Cash, Gabriel und beider Sänger Werken – auch Cash sang gelegentlich deutsch („Besser so, Jenny-Joe“, „Wer kennt den Weg?“). Als GI in Landsberg hatte er die Sprache gelernt.

Zwischen den Gesangsnummern oder mitten in den Songs erzählt Gabriel Geschichten aus Cashs Leben. Manchmal wirkt sein Vortrag linkisch und anrührend, Gabriel ist kein Schauspieler. Dann wieder kommt seine Persönlichkeit, sein oft überdramatisch ausgespieltes Ego der Darstellung des Johnny Cash entgegen, als sei Gabriel am Boulevardtheater ganz bei sich.

Sein „Hello! I’m Johnny Cash!“ gewinnt während der Vorführung an Ironie und wird vom Publikum auch so verstanden. Einmal kann eine Dame nicht mehr an sich halten und bricht in schallendes Gelächter aus. „Hello! I’m Johnny Cash!“ wird zum Runnig Gag des Stückes, neben „Berlin, great city, great people …“. Da wird gekichert, als sei das Publikum erleichtert, dass es nicht gezwungen wird, die Darstellung der Legende allzu pietätvoll hinnehmen zu müssen.

Der Vergleich beider Lebensgeschichten bietet sich an, auch wenn dieser sich letztlich auf ein verallgemeinerndes „Höhen und Tiefen hier wie da“ beschränken muss. Als Künstler befindet sich Gabriel dann aber doch in einer anderen Liga. Seine Partnerin auf der Bühne ist Helen Schneider, in den 1980ern bekannt als „Schneider with the Kick“ und erste Künstlerin aus dem Westen, die im Ostberliner Palast der Republik auftreten durfte. Sie gibt June Carter, Johnny Cashs zweite Frau, die Liebe seines Lebens. Gabriel und Schneider singen im Duett „Bridge over troubled Water“ („Du hast mich gerettet, June“), „It ain’t me, Babe“, „Long legged Guitar picking man“ und selbstverständlich „Jackson“ und erinnern an ihre gemeinsame Geschichte: „Weißt du noch, als wir in Toronto auf der Bühne standen und du mir den berühmten Heiratsantrag machtest?“

Triumph nach „Hurt“

Manchmal stimmt es nicht so richtig mit der Körpersprache, die intensiven, acht Wochen dauernden Proben haben vielleicht etwas an Spontaneität gekostet. Schneider ist als Darstellerin routinierter als Gabriel, man erkennt ihre klassische Ausbildung in jeder ihrer Bewegungen, in jeder Zeile. Doch das macht nichts, am Ende triumphiert Gabriel.

Ihm gelingt der stärkste Moment des Abends gerade in dem Augenblick, als er sich seiner Unzulänglichkeit stellt, bei „Hurt“ nämlich, der langsamen Nine-Inch-Nails-Adaption gegen Ende der Aufführung. Sein Vortrag ist meilenweit von Cashs Original entfernt. Nachher sitzt er zusammengesunken da, zieht sich nach langer Stille die Perücke vom Kopf und sagt: „Ich bin Gunter Gabriel.“ Jetzt hat er das Publikum endgültig. Die Leute trampeln und toben. Ist das Theater mehrheitlich mit Cash- oder mit Gabriel-Fans gefüllt? An diesem Abend gibt es diesen Unterschied vielleicht gar nicht. Am Sonntag jährt sich Johnny Cashs Todestag zum siebten Mal. Einige wenige Karten dürften noch zu bekommen sein.

■ „Hello, I’m Johnny Cash“ im Renaissance-Theater noch bis zum 21. September 2010