zwischen den rillen
: Musik mit großem M. Die Neuerfindung von Oval

Oval: „O“ (Thrill Jockey/Rough Trade)

Elektronische Verfremdungen sind im Hintergrund bestenfalls zu erahnen

Der Titel des neuen Oval-Albums kommt der perfekten Form nahe: „O“. Spitze Gitarrenklänge perlen in eigentümlichen Strukturen aus dem Klangraum, die Rhythmen tupfen den organischen Swing von Jazz ins Zeitkontinuum, Verfremdungen und Rechenprozesse im Hintergrund sind mehr zu erahnen als zu hören. Schließen sich mit „O“ endgültig die Kreise? Fällt jetzt alles in eins: digital und akustisch, gespielt und programmiert?

Eigentlich will er über seine Musik gar nicht mehr reden, sagt Oval-Superhirn Markus Popp. Dabei musste sich sein bisheriges Schaffen vor allem durch die Erklärung des zugehörigen Überbaus vermitteln: durch die genaue Positionsbestimmung im Feld, in das er sich als Künstler begab, durch technische Details zur prozessorgesteuerten Computerästhetik, kurz: Popp war immer Konzeptmusiker. Fast zehn Jahre lang hat der Berliner unter seinem Projektnamen Oval nichts mehr veröffentlicht. Im Juni meldete er sich dann mit einer EP namens „Oh“ zurück, jetzt lässt er das Doppelalbum „O“ folgen, und seine neuen Stücke sollen vor allem eines sein: mühelos, natürlich, selbsterklärend.

Damit klingt Oval 2010 vor allem nach Paradigmenwechsel. Popps große Zeit in den 90er Jahren fiel zusammen mit der Blüte einer computergläubigen Musik, die unter dem Namen Clicks & Cuts bekannt wurde. Frühwerke von Oval waren aus den Klängen von springenden CDs zusammengestückelt und erschienen beim Frankfurter Label Mille Plateaux, benannt nach einem Poststrukturalismuswälzer von Deleuze und Guattari.

Der Glitch, eine absichtlich hervorgerufene Störung in den Schaltkreisen, wurde auch dank Ovals Soundexperimenten zum zentralen Stichwort. Der mitgelieferte Fußnotenapparat war bald einflussreicher als die Musik selbst. Oval galt nicht nur als Pionier der Szene, sondern auch als eine ihrer bemerkenswerten Ausnahmen. Seine eigentlich kalte, technikverliebte Herangehensweise erzeugte durchaus warme, genussfähige Klanglandschaften und fiel in die Sparte der elektronischen Connaisseurmusik, abseits funktionaler Tanzflächenbedienung.

Mit der ersten Dotcomblase platzte kurz nach der Jahrtausendwende auch der Rhetorikballon der Glitch-Theoretiker. In musikalischer Hinsicht stagnierte der Ansatz, während die Geheimnisse der Programmierkunst durch den massenhaften Zugang zu höheren Prozessorleistungen und Breitbandinternet zum digitalen Werkzeug für alle wurde. Für die Ästheten und Theoretiker von Clicks & Cuts bedeutete das den kleinen Weltuntergang, für Markus Popp und Oval den Beginn einer langen Pause.

Die Zeit der Metamusik sei für ihn vorbei, sagt Popp heute. Aber ganz ohne Konzept setzt sich einer wie er nicht ins Studio. Das neue Oval-Programm passt zumindest in einen einzigen Satz: „Ich wollte alles so anders machen wie irgendwie möglich.“ Es ist ein Wagnis für einen Musiker, der jahrelang vor allem Programmierer war, sich nun an Gitarre und Schlagzeug neu zu erfinden.

Niederlage und Gewinn

Dieses Abenteuer führt Popp von der Idee einer Musik bar originärer Klänge zurück zum Kult um die Virtuosität einer Schöpferfigur. „Musik mit großem M“ nennt Popp das. Es ist durchaus eine konzeptionelle Niederlage, dafür aber ein musikalischer Gewinn. Denn die neuen Oval-Stücke, verteilt auf dem Doppelalbum und der EP erscheinen ganze 90 , überraschen nicht nur mit dem Mut zum Neuanfang, sondern schlicht mit ihrer musikalischen Anziehungskraft. Da ist auch Markus Popp, der doch die Musik selbst sprechen lassen will, nicht um ein Eigenlob verlegen: „Es ist ziemlich schwierig, von diesen Tracks nicht bewegt zu werden.“ Man kann ihm Recht geben. ARNO RAFFEINER