: Von wegen Bienenfleiß
Gut geht es den Bienen in der Stadt, selbst in einem Kunstprojekt. In „Honey Neustadt“ von Harry Sachs und Franz Höfner wohnen und arbeiten sie im Plattenbau. Das lässt verblüffende Analogien zu
VON CORD RIECHELMANN
„Honey Neustadt“ heißt ein Kunstprojekt von Harry Sachs und Franz Höfner. Man findet es auf einer Stadtbrache hinter der Bundesdruckerei in der Nähe der Kommandantenstraße in Kreuzberg. Der Titel ist eindeutig: Die beiden Künstler haben auf der sonst unbegehbaren Brache auf dem alten Mauerstreifen acht Modelle von Plattenbauten aufgestellt und zu Bienenstöcken umfunktioniert. In den Platten leben Bienenvölker, die auf der Brache in Pflanzenblüten Pollen und Nektar sammeln und daraus in den Stöcken Honig produzieren.
Das ist ein lange erprobtes Setting. Bienen sind seit längerem domestiziert, und auch in Berlin stellen heute Imker ihre Stöcke auf. Die Künstler, die an der Bauhaus-Universität in Weimar studiert haben, lassen die Tiere innerhalb ihrer Installation von einem Imker kontrollieren und müssen sich auch sonst keine Sorgen um die Bienen machen. Die Vielfalt der Pflanzenarten im Stadtbereich Berlin übertrifft seit Jahren die der Vorstädte und des Umlandes.
Die lernfähigen Bienen werden also genug Nahrung finden und ansonsten auch allein zurechtkommen. Da Sachs und Höfner sich weder anmaßen, den Bienen selbst etwas beibringen zu können, noch sonst irgendwie in deren Haushalt eingreifen, ist biologisch gegen die Arbeit nichts einzuwenden. Im Gegenteil, sie wird durch die Bestäubungstätigkeit der Bienen der Pflanzengesellschaft vor Ort guttun.
Es gibt aber eine Konnotation ihrer Arbeit, über die nachzudenken sich lohnt. Sachs und Höfner verbinden mit ihrer Installation eine Reminiszenz an die verschwindenden Plattenbausiedlungen der ehemaligen DDR. Von der Schlafstadt aus Plattenbauten zum Bienenstock, vom Chemiearbeiter zur fleißigen Biene sei es nicht weit, werden die Künstler zitiert. „Unsere Bienen sind auch kleine Chemiearbeiter“, sagt Höfner.
Das ist eine Hypothese, mit der sich arbeiten lässt, und zwar vor dem Hintergrund der Geschichte der Bienenforschung. „Der Tatbestand ist einfach – und doch durch und durch rätselhaft“, stellt Martin Heidegger in seiner im Wintersemester 1929/30 in Freiburg gehaltenen Vorlesung über „Die Grundbegriffe der Metaphysik“ fest. Heidegger denkt an dieser Stelle intensiv darüber nach, was es heißt, eine Biene zu sein. Die Passagen gehören zum Besten, was die Philosophie im Rekurs auf tatsächliche biologische Forschung hierzulande zustande gebracht hat.
Grundlage der Heidegger’schen Überlegungen sind die Arbeiten des Bienenforschers Karl von Frisch (1886 bis 1982). Der 1973 zusammen mit Konrad Lorenz und Nico von Tinbergen mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnete Verhaltenforscher gilt als Entdecker der „Bienensprache“. Schon ein Blick auf die Geschichte seiner Entdeckung bestätigt Heidegger. Als von Frisch 1919 bei einer heimkehrenden Kundschafterin eines Bienenstocks den Rundtanz entdeckte, hatte er bereits sieben Jahre täglich Bienen beobachtet. Es dauerte noch einmal bis 1944/45, ehe von Frisch die genaue Funktion des Rund- und Schwänzeltanzes, die zu den wichtigsten Kommunikationsmitteln der Bienen zählen, entschlüsselt hatte.
Dass man heute wesentlich mehr über Orientierungs- und Lernverhalten der Bienen weiß, ist ein Verdienst des Instituts für Neurobiologie der FU, das von Randolf Menzel – den man in Fachkreisen „Mister Insect-Brain“ nennt – geleitetet wird. Das kleine Gehirn der Bienen hat, auch wenn es nicht so komplex wie das der Säugetiere ist, einige Vorteile im Hinblick auf die Erforschung des Lernens. Entwicklungsgeschichtlich alt, müssen sich seine Orientierungsmechanismen bewährt haben und können Hinweise darauf liefern, wie sich durch Lernen Verhalten verändert und welche Bauelemente Bienen dafür zur Verfügung haben.
Bienen sehen sich, wenn sie über eine Wiese fliegen, wüsten Farben- und Duftlandschaften gegenüber. Der spezifische Blütenduft ermöglicht ihnen die Unterscheidung verschiedener Blütenarten. Da der Duft im Unterschied zu Farben nur begrenzt weit trägt, ist es die Kombination aus beiden, die ihnen das Ziel zeigt. Mit der Wahl der Blütensorte verbinden sich jeweils verschiedene Verhaltensprogramme: So ist das Sammeln von Pollen etwas ganz anderes, als etwa Nektar in den Stock zu tragen. Außerdem sind Blüten unterschiedlich gebaut, müssen entsprechend mit jeweils anderen Körperbewegungen erschlossen werden. Zurück im dunklen Stock, zeigen die ankommenden Bienen den anderen mit Rund- und Schwänzeltänzen die Richtung und die Ergiebigkeit der Futterquelle.
Damit man überhaupt zu solchen Ergebnissen kommen konnte, waren methodologische Überlegungen notwendig – irgendwann musste zwangsläufig der Tagesablauf einer individualisierten Biene beobachtet werden. Man markierte einzelne Bienen im Stock und führte minutiös Protokoll. Das Ergebnis: Die Tiere waren alles andere als fleißig. Achtzig Prozent des Tages taten sie nicht viel. Sie saßen nur im Stock rum. Der Bienenfleiß war widerlegt.
Wenn man Höfners Verbindung von Chemiearbeiter und Biene jetzt noch einmal ansieht, ergibt sie einen anderen, geradezu gegenteiligen Sinn. Bienen erscheinen dem Menschen von außen als fleißig, weil man soundso viel Honig aus ihren Körben ernten kann. Die Arbeit aber verrichten bis zu achtzigtausend Bienen in einem Stock. Und die Einzelnen sind nicht fleißig, sie tun nicht mehr als notwendig, und an manchen Tagen tut der ganze Stock gar nichts. Überträgt man das auf die Chemiearbeiter der DDR in den Plattenbauten und verbindet es mit der Uneffektivität der DDR-Wirtschaft …, aber das kann sich jeder selbst ausmalen. So macht Kunst Spaß.
„Honey Neustadt“ endet am 30. 9., 15 Uhr mit Honigstullen und dem Verkauf von original „Berliner Blüte“-Honig