: Krasse Zensur, krasse Blamage
Die Macht der alten Kämpfer: Der griechischzypriotische Regisseur Panikos Chrysanthou will seinen Film „Akamas“ auf der Filmbiennale in Venedig vorstellen. Doch das Kulturministerium verlangt, dass er den Film zurückzieht
Der Kolumnist der Cyprus Mail bringt es auf den Punkt: Präsident Tassos Papadopoulos habe in seinem Wahlprogramm „niemals versprochen, die Freiheit der Kunst zu fördern“. Nach dem, was der griechischzypriotische Filmemacher Panikos Chrysanthou in den letzten Wochen erlebt hat, muss man hinzufügen: Die politische Führung der Republik Zypern hält die politische Zensur eines Films nicht nur für erlaubt, sondern für geboten, wenn sie „nationale Interessen“ des zypriotischen „Hellenismus“ bedroht glaubt.
Das zypriotische Kulturministerium hat die Produktion von Chrysanthous erstem Spielfilm mit rund 200.000 Euro gefördert, was einem Fünftel der Produktionskosten entspricht. Das Werk mit dem Titel „Akamas“ schildert durch das Prisma einer türkisch-griechischen Liebesgeschichte das politische Schicksal der Mittelmeerinsel von den 1950er-Jahren bis 1975: vom Beginn des Guerillakampfs der griechischzypriotischen Organisation Eoka gegen die britische Kolonialmacht – und für den Anschluss Zyperns an Griechenland – bis zur türkischen Invasion und zur darauf folgenden Teilung.
Der Film soll beim kommende Woche beginnenden Filmfestival von Venedig im Rahmen des „Horizonte“-Programms uraufgeführt werden. Doch nun verlangt das Ministerium von Chrysanthou, seine Arbeit zurückzuziehen. Zudem verweigert es die Auszahlung von ausstehenden Geldern, die der Filmemacher dringend braucht, um die Kopien für Venedig fertig zu stellen. Die Begründung: Chrysanthou sei vertragsbrüchig geworden, weil er eine Szene eingefügt habe, die nicht im eingereichten Drehbuch stand. In dieser Szene erschießt ein griechischzypriotischer Eoka-Kämpfer einen Landsmann, den er für einen Spion der englischen Kolonialmacht hält.
Die Obrigkeit bemängelt an dieser Szene, dass sie in einer Kirche stattfinde und dass der Erschossene nicht eindeutig als britischer Spion zu erkennen sei. Chrysanthou nennt für seine Weigerung, die Szene zu verändern, zwei Gründe. Zum einen schildert sie eine historische Episode, die sich in seinem eigenen Dorf Kythrea zugetragen hat. Zum anderen soll bewusst offen bleiben, ob der Ermordete ein Spitzel der Briten war. Die griechischen Zyprioten sollen sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass die Eoka-Kämpfer nicht nur „Verräter“, sondern auch „unschuldige“ Landsleute und politische Gegner aus dem linken Lager liquidiert haben. Der Filmemacher ist überzeugt, dass die Zensuranmaßung seiner Regierung politisch motiviert ist. Die komplexe Wahrheit über die Eoka-Helden, aus deren Reihen fast die gesamte politische Elite der griechischen Zyprioten stammt, ist in Nikosia nach wie vor tabu. Das bezeugt auch das Schicksal von Chrysanthous ersten Dokumentarfilm „Unsere Mauer“, der die Eoka-Legenden konterkariert, indem er griechische und türkische Zyprioten als Antihelden der offiziellen heroischen Geschichte zu Wort kommen lässt.
„Unsere Mauer“, eine Produktion des ZDF, wurde auch auf Festivals in der Türkei und im griechischen Fernsehen gezeigt. Dagegen war keine TV-Anstalt in Zypern bereit, ihrem Publikum den filmischen Versuch einer historischen Selbstaufklärung zuzumuten. Zu stark ist die Macht der „alten Kämpfer“, die jede kritische Frage als „Verrat“ an der nationalen Sache denunzieren.
Auch die staatliche Zensur von „Akamas“ erklärt Chrysanthou mit der Angst der Regierung vor „ein paar Fanatikern“. Diese Fanatiker sorgten bereits dafür, dass ein anderer zypriotischer Dokumentarfilm auf der Insel nie gezeigt werden konnte. Er handelt vom kaltblütigen Mord an türkischzypriotischen Zivilisten durch griechische Killer nach der Invasion der türkischen Armee von 1974.
Im Süden der Republik Zypern sind die Nationalisten, die sich die Deutungshoheit über die jüngste Geschichte der geteilten Insel anmaßen, auch deshalb so mächtig, weil Präsident Tassos Papadopoulos selbst ein führender Eoka-Organisator war. Im aktuellen Fall des Filmes „Akamas“ geht niemand in Nikosia davon aus, dass der liberale Kulturminister Pefkios Georgiades von selbst auf die Idee kam, die Republik Zypern auf einem wichtigen internationalen Festival mit einem derart krassen Fall von Zensur zu blamieren.
Panikos Chrysanthou will sich dieser Zensur nicht beugen. Er produziert derzeit die Kopien für das Festival mit Hilfe privater Kredite in Budapest. „ ‚Akamas‘ wird auf jeden Fall in Venedig gezeigt“, sagt der Filmemacher. „Meine Antwort an die Zensoren wird der Film selbst geben.“
NIELS KADRITZKE