: Hehre Ziele in weiter Ferne
KINDERARBEIT Wer nicht einmal 14 Jahre alt ist, sollte zur Schule gehen und nicht arbeiten müssen. Doch es fehlt an politischem Willen, selbst die gröbsten Missstände zu beseitigen
VON OLE SCHULZ
Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation ILO müssen weltweit rund 215 Millionen Kinder arbeiten – auf dem Feld, in Fabriken und Steinbrüchen. Die Zahl der Kinderarbeiter verringerte sich von 2004 bis 2008 zwar um sieben Millionen, global bedeutete das aber nur einen Rückgang von drei Prozent.
Damit ist das von den Vereinten Nationen verfolgte Ziel, die schlimmsten Formen von Kinderarbeit bis 2016 zu beseitigen, in weite Ferne gerückt. Hintergrund ist die Wirtschaftskrise: Sie wird nach UN-Angaben von immer mehr Staaten vorgeschoben, um Schritte gegen Kinderarbeit zu verhindern.
Unter anderem in Indien ist Kinderarbeit weit verbreitet: Fachleute gehen davon aus, dass dort rund zwölf Millionen Kinder unter 14 Jahren arbeiten. Unlängst hat das zum US Department of Labor gehörende Bureau of International Affairs die indische Textil- und Bekleidungsindustrie in ihre globale Liste der Branchen aufgenommen, die Kinderarbeit forcieren oder zumindest dulden.
„Brot für die Welt“ sieht den Fairen Handel, den das evangelische Kinderhilfswerk seit nunmehr 40 Jahren unterstützt, als wichtigen Baustein im Kampf gegen die Kinderarbeit an. Auch die IG Metall fordert ein Importverbot für Produkte aus Kinderhänden. So erklärte die Industrie-Gewerkschaft, dass ein Großteil der Natursteine, die in Deutschland angeboten würden, von Kinderarbeit in Steinbrüchen stammten. Diese körperlich schwere Tätigkeit führt bekanntermaßen häufig zu schweren Gesundheitsschäden. Die IG Metall appelliert daher an die Steinmetze, freiwillig auf Natursteine aus Kinderarbeit zu verzichten und Steine mit dem Gütesiegel „Xertifix“ zu verwenden.
Dass die Konsumenten in den reichen Ländern des Nordens sehr wohl Einfluss auf extrem unfaire Produktionsbedingungen nehmen können, zeigt sich am Beispiel Indiens, das ein Drittel seiner Textilexporte in die USA ausführt: Nach der Indizierung durch die US-Behörden ist hier die Angst der Textilbranche vor einem Boykott der US-Verbraucher groß.
Zwar untersagt ein Gesetz aus dem Jahr 1986 in Indien den Einsatz von Kindern für „gefährliche Tätigkeiten“, und offiziell haben sich große indische Export-Unternehmen bereits seit längerem von Kinderarbeit verabschiedet, aber bei unzähligen kleinen, abgelegenen Zulieferern wird die umstrittene Praxis weiter in großem Stil betrieben.
Für „Brot für die Welt“ ist das aber kein Grund, den Kampf aufzugeben. Anlässlich des Welttages gegen Kinderarbeit im Juni erklärte die „Brot für die Welt“-Direktorin, Cornelia Füllkrug-Weitzel, sie könne nur dann wirkungsvoll eingedämmt werden, wenn die Armut bekämpft werde. Dazu müssten die Länder im Süden auch bereit seien, Kinderrechte zu achten und mehr in Bildung zu investieren. Eine andere wichtige Voraussetzung sei es, Einkommen zu schaffen – zum Beispiel durch eine Landreform. „Nur so sind Kleinbauern in Indien in der Lage, ihre Familien zu ernähren. Und ihre Kinder können dann zur Schule gehen und müssen nicht aufs Feld“, so Füllkrug-Weitzel.
Um die Folgen der Kinderarbeit kümmert sich die Nichtregierungsorganisation Bachpan Bachao Andolan (BBA), ein indischer Projektpartner von „Brot für die Welt“. Nach dem Gesetz von 1986 erhalten nachweislich ausgebeutete Kinder eine Entschädigungszahlung – zumindest auf dem Papier. Denn diese Zahlungen tatsächlich zu erhalten, sei ein „ziemlich bürokratischer Vorgang“, sagt Ursula Moll, „Brot für die Welt“-Programmkoordinatorin für Asien. Sowohl die Zentral- wie die jeweils zuständige Provinzregierung sind in das Verfahren eingebunden, und die Betroffenen können die Entschädigung entweder in bar oder in Sachwerten, zum Beispiel in Form einer Kuh oder landwirtschaftlichen Gerätschaften, bekommen. „Die meisten bevorzugen aber die Geldzahlungen, um der Korruption zu entgehen.“ Während die Sozialgesetzgebung Indiens „fortschrittlich“ sei, entstünden die Probleme zumeist bei der Umsetzung, so Moll. Darum sei die Arbeit von Organisationen wie BBA so wichtig. Die BBA trage dafür Sorge, dass die Entschädigungen bei den Kindern und Jugendlichen ankämen. Umgerechnet sind das rund 340 Euro, je zur Hälfte vom Staat und der Provinz bezahlt.
Außerdem hilft BBA den Kindern dabei, dass sie das nachholen, was sie wegen ihrer täglichen Plackerei verpasst haben und kontrolliert per Hausbesuch, ob sie wieder zur Schule gehen. Falls Eltern ihre Kinder trotzdem zum Arbeiten schicken, nimmt BBA die Mädchen und Jungen für sechs Monate in einer Einrichtung auf, erteilt Nachhilfeunterricht und finanziert eine berufliche Ausbildung.
Kritikern, die meinen, Kinderarbeit solle legalisiert werden, weil ein Recht, zu arbeiten, ihnen helfen könnte, sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen, und ihre Verhandlungsmacht gegenüber ausbeuterischen Arbeitgebern stärken, tritt Ursula Moll von „Brot für die Welt“ entschieden entgegen: „Kinderarbeit unter 14 Jahren gehört verboten und verfolgt.“ Wenn Kinder nicht zur Schule gingen, würden sie, so Moll, nie aus dem „Teufelskreis von Arbeit und Armut“ herauskommen. Gerade das aufstrebende Indien ist laut Moll ein Land, wo „die Kompetenzen und die Manpower“ vorhanden seien, um die Kinderarbeit zumindest stark zu verringern – aber es fehle noch am „politischen Willen“.