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Archiv-Artikel

„Angesichts steigender Flüchtlingszahlen ein Unding“

INTEGRATION Fördergelder werden nicht bedarfsgerecht verteilt, rügt die Grünen-Migrationsexpertin Susanna Kahlefeld

Susanna Kahlefeld

■ 50, Neuköllner Grünen-Abgeordnete und Sprecherin für Partizipation und Gleichbehandlung von MigrantInnen sowie für Religionspolitik ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus.

taz: Frau Kahlefeld, Sie kritisieren, die Integrationssenatorin Dilek Kolat fördere am Bedarf vorbei. Welcher Bedarf wird denn Ihrer Meinung nach nicht abgedeckt?

Susanna Kahlefeld: Die afrikanische Community bekommt fast nichts. Dabei zeigen doch die Ereignisse vom Oranienplatz und vom Görlitzer Park, dass es hier Problemlagen gibt. Dabei hätten wir mit dem Afrika-Rat einen geeigneten Dachverband in Berlin. Der bekommt keinen Cent. Auch arabische Vereine bekommen, gemessen an der Größe der Community, viel zu wenig Förderung. Viele arabische Zuwanderer leben über Jahre mit einer Duldung und haben einen großen Integrationsbedarf.

Wie sieht es mit Beratungsstellen aus, die sich um Flüchtlinge kümmern?

Die werden von Frau Kolat überhaupt nicht mehr gefördert. Angesichts steigender Flüchtlingszahlen ist das ein Unding. Sie fördert nur noch eine einzige kurdische Organisation, und das mit wenig Geld.

Viel Geld geht an Vereine, die sich in öffentliche Debatten einmischen und sich einen Namen gemacht haben, wie der Türkische Bund Berlin-Brandenburg und Südosteuropa Kultur e. V. Haben hier möglicherweise diejenigen Geld bekommen, die am lautesten „Hier!“ gerufen haben?

Nicht wer am lautesten gebrüllt hat, sondern wer die besten Beziehungen zur Senatsverwaltung hat. Dass die beiden von ihnen genannten Vereine einfach mal so jeweils 100.000 Euro über den Tisch geschoben kriegen ohne durchgerechnetes Konzept, das geht überhaupt nicht.

Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf, in dem die meisten russlanddeutschen Spätaussiedler wohnen, klagt, dass die dort ansässigen Vereine Vision e. V. und Babel e. V. leer ausgegangen sind. Alles Geld für die Integration dieser Gruppe geht an Dialog e. V., der aber in dem Bezirk nicht tätig ist. Wurde der Osten vergessen?

Hier geht es nicht um Ost und West, sondern darum, dass auch die russischsprachige Community unterproportional gefördert wird, weil der Senat sie nicht wahrnimmt. Die Summe für Dialog e. V. ist auch nicht üppig.

Neue Förderrichtlinien

■ Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) hat neu entschieden, welche Integrationsvereine und -projekte Geld aus ihrem Haushalt bekommen. Die alten Förderrichtlinien waren in den 1990er Jahren historisch gewachsen und nur punktuell geändert worden.

■ Die Struktur der Migration hat sich aber geändert: Die ehemals angeworbenen „Gastarbeiter“ aus Westeuropa sind weitgehend integriert, neue Zuwanderergruppen sind allerdings hinzugekommen. (mai)

Der Verein Türkischer Unternehmer und Handwerker bekommt Geld von der Integrationssenatorin. Sollte ein Unternehmerverband sich nicht aus Mitgliedsbeiträgen finanzieren?

Ja, das ist völlig daneben. Ich kritisiere auch, dass Projekte Geld bekommen, die in Berlin bisher gar nicht tätig waren. Die in Berlin ansässigen Vereine haben selber Kompetenzen.

INTERVIEW: MARINA MAI