boris jelzin nüchtern in irland von RALF SOTSCHECK :
Diesmal ist er aus dem Flugzeug ausgestiegen. Boris Jelzin, der frühere russische Präsident, hat Irland zum zweiten Mal einen Besuch abgestattet. Sein erster Versuch vor zwölf Jahren ist unvergessen. Damals war er noch Präsident, und auf dem Rückweg von Washington nach Moskau wollte er eine Stippvisite bei der irischen Regierung einschieben. Die stand geschlossen am westirischen Flughafen Shannon, dazu der russische Botschafter und die führenden irischen Unternehmer.
100 Soldaten formten eine Ehrengarde, eine Militärkapelle spielte die russische Hymne, Schulkinder schwenkten russische Fähnchen. Als das Flugzeug gelandet war, wurde ein roter Teppich ausgerollt. 31 gepanzerte Limousinen standen bereit, um Jelzin und die Gastgeber ins zehn Kilometer entfernte Fünf-Sterne-Hotel Drumoland Castle zu bringen, wo man beim Lunch Geschäftliches besprechen wollte. Die Tür des Flugzeuges öffnete sich, und dann geschah anderthalb Stunden gar nichts. Schließlich erklärte Jelzins Stellvertreter den verdutzten Iren, dass der Präsident indisponiert sei, was nichts anderes hieß, als dass er sich ins Koma gesoffen hatte.
Nun schaffte es Jelzin, inzwischen 75, doch noch ins Drumoland Castle, aber zu keinem Geschäftsessen, sondern zum Urlaub. Die irischen Politiker waren dem Flughafen vorsichtshalber ferngeblieben, doch sie schickten ein Polizeiaufgebot zu seinem Schutz. Schließlich war Jelzin mal ein bedeutender Mann, und man ist ja nicht nachtragend. Der Ex-Präsident besichtigte die Cliffs of Moher, Europas höchste Klippen, und ging Haifisch angeln. Dann äußerte er den Wunsch, auf Inisheer seinen Lunch einzunehmen.
Das ist die kleinste der drei Aran-Inseln in der Bucht von Galway vor der irischen Westküste. Auf neun Quadratkilometern leben 350 Einwohner, und alle sprechen Irisch. Jelzin und seine Leibwächter bestiegen am Hafen Pferdekutschen und fuhren zum Essen ins Hotel „Ostan Inis Oirr“. Jelzin sei „in high spirits“ gewesen, sagte später ein Inselbewohner. Das kann „in Hochstimmung“ bedeuten, aber auch „volltrunken“.
Aber Jelzin war diesmal nüchtern. Den Leibwächtern machten ganz andere Trunkenbolde zu schaffen. Einige Wochen vor dem hohen Besuch hatte eine Hörerin aus Dublin, die ihre Ferien auf Inisheer verbracht hatte, bei der Joe-Duffy-Radioshow angerufen und die nächtlichen Partys von Jugendlichen auf dem Campingplatz der Insel moniert. Andere Hörer merkten entsetzt an, dass es auf Inisheer nicht mal einen Polizisten gebe. Das Sommertheater ging weiter, bis eine Abordnung der Polizei aus Dublin auf die Insel geschickt wurde, um den Campingplatz zu schließen.
Inzwischen hatte sich jedoch unter Europas Jugendlichen per Internet wie ein Lauffeuer die Kunde verbreitet, dass es am Rande Europas einen kleinen, bullenfreien Flecken gebe. So zogen sie mit ihren Zelten los und bauten sie zur Freude der Insulaner überall auf – nur nicht auf dem Campingplatz, denn der war ja gesperrt. Als Jelzin auf dem Rückweg zum Hafen an einem der Zelte vorbeikam, schwenkten vier junge Männer eine Flasche Whiskey in seine Richtung. Er lächelte mit einer Miene, die ausdrückte; „Ach, ihr kleinen Amateure.“