nebensachen aus dem pamirgebirge : Streit um Gipfel der Unabhängigkeit kümmert keinen Himmelskratzer
Steine stehen dem Geschichtslauf eher unbeteiligt gegenüber. Ein ganzes Gebirge schert die Historie noch viel weniger. Das Pamirgebirge, dessen Siebentausender seit Urzeiten beharrlich am Himmel kratzen, macht da keine Ausnahme, auch wenn das gewaltige Massiv in Zentralasien in einer brisanten Region liegt. Afghanistan, Kaschmir, Westchina sind nicht weit. Und ab und an verirren sich auch bewaffnete, bärtige Kämpfer in dessen Täler und Schluchten. Was das Gebirge nicht kümmert, erregt dafür die Menschen umso mehr. Besonders wenn es um die Namensgebung geht. Und die hat zu einer Verstimmung zwischen Kirgistan und Tadschikistan geführt.
Von alters her geben die Menschen besonders hoch in den Himmel ragenden Gipfeln Namen, um eine Person oder ein Ereignis an der Ewigkeit der Steinbrocken teilhaben zu lassen. Ein trügerisches Unterfangen. Denn Namen kommen und gehen, die Gebirge jedoch bleiben. Als die Rote Armee in den 20er-Jahren die Sowjetmacht nach heftigen Kämpfen in den Pamir brachte, wurden die Gebirge eifrig umbenannt: Pik Kommunismus, Pik Lenin und Revolution und auch Pik Marx und Engels waren seither auf den Karten notiert. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und einer gewissen Höflichkeitspflicht widmete die Führung Tadschikistans sich nun ihrerseits den Gipfeln. Das ist sehr praktisch. Es kostet wenig und zeugt von nationaler Größe. Der mit 7.495 Metern höchste Berg auf tadschikischem Gebiet wurde 1999 als erster von Pik Kommunismus in Pik Ismail Samoni unbenannt. Ismail herrschte vor 1.000 Jahren als geachteter König über weite Teile Zentralasiens, und der heutige tadschikische Präsident Emomali Rachmonow spürt das Blut des alten Kämpen in seinen Adern fließen. Wie zufällig ähneln denn auch die buschigen Augenbrauen im Antlitz des gewaltigen Ismail-Denkmals in der Hauptstadt Duschanbe denen des Präsidenten.
Sieben Jahre später erhielten die anderen Gipfel in Tadschikistan neue Namen. Im Juli benannte die Regierung den Pik Revolution in Pik Abu Ali ibn Sina um, dem persischen Heilkundigen zu Ehren, der aus Sicht der Tadschiken einer der ihren war. Pik Lenin heißt nun Gipfel der Unabhängigkeit. Damit ging der Knatsch los. Der 7.134 Meter hohe Berg liegt nämlich genau auf der Grenze zwischen Kirgistan und Tadschikistan, beide aus den Trümmern der Sowjetunion als unabhängige Staaten hervorgegangen. Das politische Kirgistan zeigte sich empört. Man könne doch nicht einfach einen ihrer Berge umtaufen und dann noch nicht mal nach der kirgisischen, sondern der Unabhängigkeit des südlichen Nachbarstaats benennen, erklärte man verschnupft. Die neue Elite in Kirgistan ist gerade vor einem Jahr in einer Art Revolution an die Macht gekommen und bis heute mächtig stolz darauf. Daher fand man in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek den Revolutionsnamen für den Pamirgipfel eigentlich sehr passend. Nun munkelt man schon in Bischkek über eine Kommission zur Lösung des gravierenden Problems zwischen beiden Staaten. UN, OSZE und Schanghai Organisation aufgepasst! Dem Berg ist das natürlich egal. Da fällt es auch nicht ins Gewicht, wenn der Gipfel vor dem ganzen Schlamassel einst Kaufmann hieß, nach dem deutschstämmigen Gouverneur unter dem Zaren, und von einem Österreicher erstmals erklommen wurde. MARCUS BENSMANN