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Archiv-Artikel

Schulverweigerer auf der Flucht

Bibelfamilie aus Othmarschen hat sich offenbar abgesetzt. Schulbehörde will den Eltern das Sorgerecht dennoch entziehen und die Kinder zum Schulunterricht holen lassen – notfalls auch aus dem Ausland

Die strenggläubige Familie R. hat die Flucht angetreten. Den Aussagen von Nachbarn zufolge hat sich die achtköpfige Familie, die hartnäckig den Schulbesuch ihrer Kinder verweigert, am Wochenende ihr Reihenhaus in Othmarschen verlassen und sich ins Ausland abgesetzt. „Sie sind aus Hamburg weggefahren“, bestätigte Armin Eckermann, Rechtsanwalt und Vorsitzender des Vereins „Schulunterricht zu Hause“, gestern gegenüber dpa. Der Verein aus dem hessischen Dreieich unterstützt die bibeltreuen Schulverweigerer.

Die Hamburger Bildungsbehörde hatte vorige Woche keinen Zweifel daran gelassen, dass sie nun ernst machen wird: Am Freitag Nachmittag stellte sie Antrag auf Entzug des Sorgerechtes für die Kinder (taz berichtete). Auch die Flucht ändere nichts daran, dass das Amt die Teilnahme der Kinder am regulären Unterricht erzwingen will. „Wir setzen das jetzt durch“, sagte Sprecher Alexander Luckow gestern. „Die Kinder aus dem europäischen Ausland zurückholen zu lassen, ist kein Problem.“

Damit dürfte ein Konflikt, der sich seit fünf Jahren hinzieht, die Spitze der Eskalation erreicht haben. 2001 meldeten Frauke und André R. ihre damals noch zwei schulpflichtigen Töchter aus der freien christlichen Bekenntnisschule ab, die die Mädchen eine Zeit lang besucht hatten. Sie beriefen sich auf die Bibel.

Die Gründe, die sie schließlich in ihrem Strafverfahren dieses Frühjahr vor dem Amtsgericht vortrugen, waren aber nur begrenzt religiöser Natur: In der Schule hätten die Mädchen Gewalt erlebt und seien der Gesellschaft von Scheidungskindern ausgesetzt. So befand denn auch der Amtsrichter, dass sich kein wirklicher religiöser Gewissenskonflikt abbilde und verurteilte das Ehepaar R. zu einer Geldstrafe.

Durch dieses Urteil und nachfolgende Beschlüsse der Verwaltungsgerichte sieht die Schulbehörde sich in ihrem Versuch bestärkt, einen Vormund für die Kinder zu bestellen, „der dafür sorgt, dass sie endlich in die Schule gehen“, so Luckow. Ein erstes Verfahren vor dem Familiengericht hatte damit geendet, dass das Sorgerecht bei den Eltern verblieb. Schließlich werden die Töchter und der Sohn nicht misshandelt. Die Gerichte haben aber inzwischen festgestellt, dass das Verhalten der Eltern für die Kinder bei allem guten Willen schädlich ist: Die „heile Welt“ des Elternhauses isoliere die Kinder, befand im März das Oberverwaltungsgericht (OVG). Ihnen drohten schwerwiegende Nachteile, wenn sie nur „in der eng begrenzten Parallelgesellschaft“ lebten.

Gerüchten zufolge soll Familie R. auf dem Weg nach Österreich sein, wo das so genannte „Homeschooling“ unter bestimmten Umständen erlaubt ist – anders als in Deutschland. Behördensprecher Luckow aber sieht durch die Flucht ein weiteres Mal bestätigt, dass die elterlichen Beteuerungen, die Kinder würden zuhause nach einem strikten Stundenplan unterrichtet, nur vorgeschoben gewesen seien: „Zurzeit werden sie nicht unterricht, sondern durch die Republik gefahren.“

Er rechnet damit, dass die Entscheidung des Gerichtes „eher in Tagen als in Wochen“ ergehen wird. Die Behörde hat nur beantragt, einem Vormund die Verantwortung für die Beschulung zu übertragen. Die Umsetzung, so Luckow, „kann aber bedeuten, dass die Kinder zumindest von Montag bis Freitag aus der Familie genommen werden – eventuell auch ganz“. ELKE SPANNER