: Tod einer Unbequemen
NACHRUF Bis zuletzt war sie kompromisslos – gegen sich und alle anderen
■ Der Kampf für Frieden, Freiheit und Solidarität hat das Leben der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley geprägt. Zitate:
■ „Wenn der Widerstand sich darauf beschränkt, alle vier Jahre irgendwo ein Kreuzchen zu machen, wird sich nicht viel ändern.“ (Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, Oktober 2009)
■ „Ich werde auch nicht gern in der S-Bahn von Leuten um Geld angebettelt, das habe ich in der DDR nicht erlebt.“ (Im Interview mit der taz, Oktober 2009)
■ „Ich kenne keine Partei, die mündige Bürger hervorbringt.“ (Im Gespräch mit der taz, Januar 1990)
■ „In der DDR hat es nicht einmal fünf Minuten Sozialismus gegeben.“ (Auf einer Diskussionsveranstaltung im Gästehaus der FDJ im November 1989)
■ „Ich bin eigentlich ein friedlicher Typ. Ich weiß überhaupt nicht, warum die Mächtigen solch eine Wut auf mich haben.“(In einem Interview mit dem Spiegel, August 1988)
■ „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“„Da ändert sich nicht alles mit einer Cola-Flasche oder einem neuen Westauto. Das macht einen nicht zum neuen Menschen.“ (Zu ihrer Enttäuschung über die juristische Aufarbeitung des DDR- Unrechts in der Bundesrepublik)
■ „Ich denke, dass jetzt doch einige Politiker im Westen Schweißtropfen auf der Stirn haben, und die haben sie sich, glaube ich, auch verdient. Da muss der Westen durch, und da müssen wir durch.“ (Nach der Maueröffnung im November 1989 im NDR)
■ „Wenn Menschen die Lüge wählen, dann hat sie das bis ins Innerste gebrochen. Und wir haben alle gelogen. Wie oft habe ich irgendetwas gesagt, von dem ich wusste, dass es nicht stimmt. Das hat jeder gemacht – in der Schule, in den Betrieben. Wir müssen wieder lernen, zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden. Das ist politisch absolut notwendig.“ (Im Gespräch mit der taz im Januar 1995)
VON ANJA MAIER
Zuletzt hat sie nicht mehr auf E-Mails geantwortet. Dieses Schweigen machte Angst. Bärbel Bohley war eine kranke Frau, ja, aber keine verbitterte Leidende. Dass sie nicht zurückschrieb, ließ Schlimmes ahnen. Nun kam am Samstag die befürchtete Nachricht: Bärbel Bohley ist tot. 65 Jahre alt ist sie geworden.
Vor genau einem Jahr hatte sie der taz ein langes Interview gegeben. Es sollte in dem Gespräch, natürlich, um zwanzig Jahre Mauerfall gehen und Bärbel Bohleys Mut, den sie in dieser Zeit unter Beweis gestellt hatte. Auch um das Spröde und Kompromisslose dieser Malerin, die es in einem historischen Moment in die Politik geschleudert hatte. Drei Stunden dauerte dieses Interview in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg. Stunden, die Journalisten nur selten das Glück haben zu erleben. Denn Bohley war die, die man zu treffen erwartet hatte – und zugleich eine Person, von der man glaubte, noch nie gehört zu haben. Eine Frau voller Ironie, eine, die ein großes Talent als Witzeerzählerin hatte, vorgetragen in ihrem schönen Dialekt, mit gutem Gespür für Pointen. Typischer Berliner Humor eben.
Bärbel Bohley wurde zwei Wochen nach Kriegsende in Berlin geboren. Ihre Mutter, erzählte sie, brach zehn Tage vor dem Termin Richtung Krankenhaus im Norden der zerstörten Stadt auf. In den Bögen der Hochbahn lagen die Leichen gestapelt, in der Klinik erarbeiteten die Hochschwangeren sich die Geburt in der Küche – es ging damals nicht anders. Dass ihre Mutter ihr den ungeliebten Namen Bärbel gegeben hatte, erklärte sie sich damit, dass Frauen in jenen Maitagen 1945 „was anderes im Kopf hatten, als nach einem Mädchennamen zu suchen“. Später lebte die Familie in der Stadtmitte, Bärbel spielte in den Trümmern, ging zur Schule, sie mochte Berlin und litt unter der Teilung durch die Mauer, schließlich hatte sie die Stadt noch als Ganzes erlebt.
Bohley machte Abitur, anschließend eine kaufmännische Berufsausbildung, bis sie 1969 Malerei studieren durfte. 1970 wurde ihr Sohn Anselm geboren, als das Kind zwölf war, gründete seine Mutter zusammen mit anderen Frauen die Initiativgruppe „Frauen für den Frieden“. Damals, der Kalte Krieg war mächtig heiß gelaufen, führte die DDR-Führung das verbindliche Schulfach „Zivilverteidigung“ ein – Bohley und ihre Mitfrauen wollten nicht, dass ihre Kinder Krieg spielen müssen. Dieses Engagement, auch der Kontakt zu den Grünen im Westen, hatte schwerwiegende Folgen. 1983 wurde Bohley von der Stasi wegen „landesverräterischer Nachrichtenübermittlung“ verhaftet, nach ihrer Freilassung erhielt sie Ausstellungs- und Reiseverbot. Bohley lebte davon, dass sie mit ihrer Freundin Katja Havemann, der Witwe des berühmten Dissidenten, in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg Keramikeierbecher bemalte und verkaufte – eine DDR-Dissidentenexistenz.
1988 wurde sie erneut verhaftet und wegen „landesverräterischer Beziehungen“ nach England abgeschoben. Sie hätte dort bleiben können – aber sie wollte unbedingt zurück, in Berlin formierte sich ein echter politischer Widerstand, und Bärbel Bohley wollte dabei sein, wenn die DDR neu gestaltet wird. Im September 1989 veröffentlichte sie mit politischen Weggefährten den Gründungsaufruf des Neuen Forums, „Die Zeit ist reif“ war er betitelt. Und das war sie, zweifelsohne. Am 9. November fiel die Mauer, Bärbel Bohley beschrieb diese Tage so: „Mittags haben wir hier auf dem Hof unter dem Ahorn eine riesige Pressekonferenz gemacht, abends fiel die Mauer. Und zwischendurch waren hier hunderttausend Leute, die irgendwas wollten. Man war nur müde. Eigentlich nur müde. Im Innersten war man ständig überfordert – zu viel Adrenalin.“ Gemalt hat sie seitdem nie wieder.
Bedenkt man ihre gerade, ihre kompromisslose Art zu leben, ihren Mut, ihre Sicht der Dinge stets auszusprechen, wundert es, dass ausgerechnet diese Frau zur Ikone der friedlichen Revolution werden konnte. Nicht nur, dass sie die Wiedervereinigung als vertane Chance für einen eigenen, dritten Weg für Ostdeutschland mit dem berühmt gewordenen Satz geißelte, man habe „Gerechtigkeit gewollt und den Rechtsstaat bekommen“. Sie mokierte sich auch über die Anfälligkeit ihrer Landsleute für kapitalistische Verlockungen und machte sich unbeliebt bei jenen, die die Stasivergangenheit dieses Landes und seiner Menschen gern ad acta gelegt hätten.
1992, nachdem Bärbel Bohley ihre Stasiakte eingesehen hat, beschuldigt sie den damaligen PDS-Fraktionschef im Bundestag, Gregor Gysi, der inoffiziellen Mitarbeit im Ministerium für Staatssicherheit. Er war während ihrer Haft 1988 einer ihrer Rechtsanwälte gewesen.
Gregor Gysi strengte seinerseits eine Unterlassungsklage gegen seine ehemalige Mandantin an, mit dem Ergebnis, dass Bohley im Falle einer Wiederholung dieser Behauptung bis zu 500.000 Mark würde zahlen müssen. So waren sie, die Verhältnisse.
Mitte der Neunziger schockierte sie viele ihrer Anhänger mit einem Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in ihrer Wohnung, um mit ihm gemeinsam den Verein Bürgerbüro e. V. aus der Taufe zu heben, der SED-Opfern konkrete Hilfsangebote machen sollte. Kohl, damals bereits politisch schwer angeschlagen, nutzte das Teetrinken in Prenzlauer Berg medial gekonnt aus. Darauf angesprochen, sagte Bohley im taz-Interview: „Für mich war das ein verspätetes Gespräch, das eigentlich viel früher hätte stattfinden müssen. Wenn Erich Honecker je hier geklingelt hätte und gesagt hätte, wollen wir nicht mal über das reden, was wir gerade hinter uns haben, ich hätte ihn auch reingelassen.“ So war sie.
Ein Jahr später verließ sie Deutschland und ging ins ehemalige Jugoslawien. Bis 1999 arbeitete sie dort für die Internationale Friedensbehörde für Bosnien und Herzegowina in Sarajevo und organisierte ein Wiederaufbauprogramm für im Krieg zerstörte Häuser. Später gründete sie einen Verein, der Kindern aus Flüchtlingsfamilien kostenlose Ferien ermöglichte, 2006 ein Trinkwasserprojekt. Sie hatte die Nase voll vom aufgeblasenen Politikbetrieb in Deutschland, dort galt sie eh vielen – je nach Bedarf – entweder als „Mutter der Revolution“ oder „Heulsuse der Nation“. Da machte sie doch lieber was Konkretes. Gefragt, warum sie bei vielen bis zuletzt so viel Widerstand gegen ihre Person hervorrief, antwortete sie: „Sie müssen die Leute fragen, was sie so sauer macht. Also ich weiß es nicht. Mir ist das egal, weil man kann nicht Rücksicht darauf nehmen. Das würde ja bedeuten, dass ich geliebt werden will, und das ist nicht mein Antrieb, nicht mein Ziel. Mich muss niemand lieben.“
Das aber wurde sie. Diese kleine Frau mit dem glucksenden Lachen, die Mutter, die begabte Malerin und Geschichtenerzählerin hatte zum Ende immer noch ihre Weggefährten, ihre Leute. 2008 erkrankte sie an Lungenkrebs, sie nahm sich nun Zeit für Dinge, zu denen sie nie gekommen war: Theaterbesuche, Konzerte, sie schrieb eigene Texte. Im taz-Interview antwortete sie auf die Frage, was sie glücklich mache: „Eines meiner schönsten Erlebnisse war die Eröffnung des Neuen Museums in Berlin. Das Museum hat mir immer sehr viel bedeutet. Gleich da in der Spree habe ich als Kind Krebse gefangen. Mein Vater war damals so traurig, dass dieses schöne Museum zerbombt war. Und plötzlich ist es wieder da, und es ist wunderschön. Darüber bin ich sehr glücklich.“
Beim letzten Telefonat im Frühsommer sagte Bärbel Bohley, sie habe gerade schlechte Neuigkeiten vom Arzt bekommen, morgen gehe sie erst einmal wieder ins Krankenhaus. Sie melde sich dann. Aber sie hat sich nicht mehr gemeldet. In den letzten Tagen und Wochen haben Freunde und Familie sie gepflegt und begleitet. Am Samstagmorgen ist Bärbel Bohley gestorben. Es war spannend mit ihr.