Merkwürdige Welt

Der am Handgelenk verletzte Nicolas Kiefer plaudert am Rande der US Open über die herzlose Tennisbranche

NEW YORK taz ■ Irgendwie ist das ein skurriler Termin. Vier Tennisprofis versammelten sich vor Mason’s Tennis Mart, einem kleinen Sportgeschäft in einem großen, namenlosen Hochhaus mitten in Manhattan. Dazu ein paar Fans, vier, fünf Fotografen, gleich viele Berichterstatter und die überraschte Dame einer PR-Abteilung; für alle zusammen ist der Laden nicht groß genug, und wohin mit den Schirmen?

Draußen vor der Tür prasselt der Regen auf den Asphalt, drinnen herrscht eine gewisse Verwirrung, aber zumindest bleibt es trocken. Neben Ivan Ljubicic, Gaston Gaudio und Francesca Schiavone ist Nicolas Kiefer einer der vier, die sich im Dienste ihres gemeinsamen Vertragspartners in New York eingefunden haben. Und während der maulfaule Kollege Gaudio mehrfach demonstrativ gähnt, plaudert er aufgeräumt drauflos.

Eigentlich hätte er beim letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres wieder dabei sein wollen, doch die Heilung des während eines Sturzes bei den French Open verletzten und Mitte Juli athroskopierten linken Handgelenks dauert länger als gedacht. Nach den ersten schmerzhaften Trainingsversuchen hat sich das Gelenk wieder entzündet, nun trägt Kiefer bis zum 4. September noch mal Gips. „Ich hätte nie gedacht, dass das so lange dauert“, sagt er, „aber ich habe begriffen, dass ich nichts planen kann. Es kommt, wie es kommt.“

Er hofft, bei den Turnieren der Asien-Tour wieder fit zu sein, die Ende September beginnen, spätestens aber danach bei der Hallenserie in Europa. In seinen knielangen Camouflage-Shorts und mit der neuen, schwer jugendlichen Frisur mit Irokesen-Touch wirkt er auf den ersten Blick nicht unbedingt wie ein Geschäftsmann, aber genau das ist er dieser Tage in New York. Vor diesem Termin hat er bereits andere wahrgenommen, weitere sollen folgen bis zum Rückflug Mitte der Woche, und Montagabend hat er sich bei Eurosport als Co-Kommentator für das erste Spiel beim letzten Turnier von Andre Agassi angesagt. Kiefer versichert, es mache ihm Spaß, die Welt des Sports auch mal aus dieser Perspektive zu sehen. Einstweilen hegt er noch keinen Gedanken an ein Ende seiner Karriere als Tennisprofi und sagt, mit 29 fühle er sich noch jung, aber gelegentlich denke man ja schon mal darüber nach, was später vielleicht möglich sei. Irgendwas mit Sport sollte es sein, aber bestimmt nichts mit Tennis, denn das sei eine merkwürdige Welt.

Dass sich in den vergangenen Wochen kein einziger seiner Kollegen erkundigt habe, wie es ihm denn gehe, findet er befremdlich und bezeichnend. Auf die Frage, ob er selbst so etwas in anderen Fällen tue, antwortet er mit dem treuherzigsten Blick: „Ja, klar.“ Das kann man glauben, muss man aber nicht; vielleicht hat er sich im Laufe der Jahre einfach nicht so furchtbar viele Freunde gemacht. Andere Beispiele gibt es immer. Wie das vom Primus Roger Federer, der sich kürzlich beim verletzten kroatischen Kollegen Mario Ancic nach dessen Befinden erkundigte, woraufhin der aus spontaner Begeisterung Federer für so viel Interesse zu ein paar Urlaubstagen an die kroatischen Küste einladen wollte. Aber das nur nebenbei.

Nicolas Kiefer jedenfalls glaubt, in der Welt des Fußballs gehe es prinzipiell weniger egoistisch zu. Und nachdem er nun schon eine ganze Weile seine guten Beziehungen zu diversen Spielern des Bundesligisten Hannover 96 pflegt, kann er sich vorstellen, eher in dieser Branche zu landen. „So als Mittler zwischen Spielern und ihrem Club.“ Na, später dann.

Zunächst mal wird er irgendwann im Herbst zu den Kollegen auf den Tennisplatz zurückkehren. Nach einer Auszeit, die ihn zu der Erkenntnis geführt hat, es bringe nichts, sich über Dinge aufzuregen, die nun mal nicht zu ändern seien. Gegen diese grundlegend richtige Weisheit, präsentiert im kleinen Kreis vor Mason’s Tennis Mart, ist schließlich nichts mehr zu sagen.

DORIS HENKEL