: Enttäuscht, aber stolz auf die Bombe
AUS TEHERAN KARIM EL-GAWHARY
„Sarepol“, zu Deutsch „An der Brücke“, heißt das kleine Teehaus an einer der Hauptstraßen des Stadtviertels Dschawadia. Ein Dutzend junger und alter Männer aus der Nachbarschaft hat sich auf Plastikhockern niedergelassen, um den Tag mit Tee und Wasserpfeife zu beginnen. Manche unterhalten sich leise, andere studieren die Zeitung. Der Geruch des Tabaks liegt in der heißen Luft, da schafft auch der müde rotierende Ventilator wenig Abhilfe. An der Wand hängt ein Bild Ajatollah Chomeinis, der Ikone der Islamischen Revolution. Über der Theke bittet ein braunes Stoffbanner den schiitischen Heiligen Abul Fas Abbas darum, seine schützende Hand über das Teehaus zu legen.
In der Ecke am Fenster sitzt Muhammad mit langen weißen Haaren und einem imposanten Schnurrbart. Er zieht eine nüchterne Bilanz des ersten Amtsjahres Ahmadinedschads. „Manches hat sich geändert, vieles wurde versprochen, aber wenig ist für die armen Leute gemacht worden. Seine Versprechen an die Reichen hat der Präsident besser eingehalten. Für uns hat er wenig getan“, sagt er und zieht an seinem Wasserpfeifenschlauch. Um seine Miete bezahlen zu können, ist der 75-Jährige gezwungen, die Hälfte des Tages immer noch Taxi zu fahren. Danach repariert er Fernseh- und Radiogeräte. Dennoch hat er am Ende des Monats kaum Geld übrig. Fleisch und Obst sind für ihn fast unbezahlbar.
Das Teehaus liegt im Süden der iranischen Hauptstadt. Anders als im höher gelegenen und kühleren Norden, am Fuße des Elbrusgebirges, wo die Wohlhabenden leben mit ihren klimatisierten Büros, Restaurants und Einkaufsstraßen, wohnen hier in der heißen Ebene viele der 4,5 Millionen Arbeitslosen. Jene, die sich durchs Leben schlagen als Tagelöhner und deren Einkommen kaum zum Überleben reicht. Hier staut sich die Sommerhitze zwischen den engen staubigen Gassen, fließt das Abwasser in einem offenen Rinnsaal mitten in der Gasse ab, über den auch der Müll entsorgt wird. Hier befand sich auch vor einem Jahr eine Hochburg der Anhänger von Mahmud Ahmadinedschad. Hier haben sie ihn, der mit Parolen zu sozialer Gerechtigkeit angetreten war, zum Präsidenten gewählt.
Neben Muhammad hockt der 25-jährige Varghah. Alles, was er verdient, gibt er für seinen Lebensunterhalt aus. Mit dem neuen Präsidenten sei alles schlimmer geworden, sagt er. Drei- bis viermal die Woche hat er noch einen Job als Taxifahrer. „Das ist nicht gut für einen jungen Mann, tagsüber im Teehaus herumzusitzen und Wasserpfeife zu rauchen, anstatt zu arbeiten“, sagt er. Zurzeit bemüht er sich um ein Visum. So schnell es geht, will er nach Japan zu seiner Oma auswandern. Schams der 60-jährige Rentner vom Tisch gegenüber ist eingefleischter Ahmadinedschad-Anhänger geblieben. „Man kann nicht erwarten, dass der alles an einem Tag verändert“, verteidigt er den Präsidenten. Man müsse ihm mehr Zeit geben, seine Politik umzusetzen.
Um Ahmadinedschads Image als „Mann der kleinen Leute“ Nachdruck zu verleihen, ließ der Präsident in den vergangenen Monaten die Beamten- und Lehrergehälter erhöhen, schuf eine Krankenversicherung für Beduinen und richtete den so genannten Love-Fonds ein, aus dem frisch verheiraten jungen Paare eine staatliche finanzielle Spritze mit auf den Weg gegeben wird.
Doch für Rais Dana, Wirtschaftsprofessor an der Universität Teheran, sind diese Maßnahmen bisher nur kosmetisch geblieben. „Ahmadinedschad reist in die Provinzen und verkündet dort kleine Projekte“, sagt er. „Das erinnert mich an den Kalifen Harun al-Raschid, der einst in Bagdad mit Säcken von Geld durch die Straßen gezogen ist und die Münzen unter dem Volk verteilen ließ.“ Eine moderne Wirtschaftspolitik, durch die die riesigen Öleinnahmen gerechter umverteilt würden, sei jedenfalls nicht zu erkennen. Stattdessen, wettert er, bringe der ehemalige Revolutionswächter Ahmadinedschad seine einstigen Kollegen in lukrative Positionen. So erhielten diese unlängst einen Auftrag für den Bau einer Pipeline in der Provinz Sistan-Balutschistan ohne jegliche Ausschreibung, Wert: 1,3 Milliarden Dollar. Als „Revolutionswächter-Kapitalismus“ bezeichnet Dana den neuen Trend, durch den die Wächter der Tugend und Ideale der Islamischen Revolution heute ihre Schäflein ins Trockene brächten.
Die Krise wegen der iranischen Urananreicherung käme der Regierung als Ablenkung äußerst gelegen, glaubt Rais Dana. „Der Atomstreit hilft Ahmadinedschad weiterzumachen wie bisher, seine Revolutionswächter können sich Verträge unter den Nagel reißen und Menschenrechtsfragen können ignoriert werden. Die Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit wurden dadurch erst einmal aufgeschoben“, sagt er.
Die Strategie scheint zu funktionieren. Keiner im Teehaus macht sich mehr über eine neue Sozialpolitik des Präsidenten Illusionen, beim Thema Atomtechnologie stehen sie alle hinter ihm. Die Argumente sind dabei stets die gleichen. Der Iran habe das Recht auf eine friedliche Nutzung der Atomtechnik, die das Land für die Zeit nach dem Öl brauche. Es gebe keine Pläne für eine militärische Nutzung. Und die Iraner seien ohnehin ein friedliebendes Volk, das nie jemanden angegriffen habe. Selbst den achtjährigen Krieg mit dem Irak habe Saddam Hussein begonnen.
Resa Saadi, der zum Atomthema schweigt, wohnt um die Ecke in einem einfachen Haus. Er lebt vom Akkordeonspielen. Doch Musiker werden bis heute von den Behörden misstrauisch beäugt. Auch er klagt über die wachsende soziale Schere. „Manchmal spiele ich auf Hochzeiten, auf denen 50 verschiedene Gerichte angeboten werden, und manchmal schaffen es die Familien noch nicht einmal, ihre Gäste mit einem Gericht satt zu bekommen.“ Von Ahmadinedschad erwartet er wenig: „Im Wahlkampf versprechen sie den Armen vieles, aber wenn sie einmal Präsident sind, ist das alles schnell vergessen“, sagt er. Aber auch er lässt in der Atomfrage keinen Zweifel aufkommen. Das Ganze sei eine unehrliche Diskussion. „Amerika und Israel haben Atomwaffen, warum können wir die Atomtechnologie nicht auch friedlich nutzen?“, fragt er und zieht einen Vergleich aus seinem Leben: „Ich kann meinem Sohn nicht sagen, spiele kein Akkordeon, wenn ich selber spiele.“
Aber um nicht missverstanden und für einen Anhänger dieser Regierung gehalten zu werden, fügt er hinzu: „Die Mullahs mögen meine Musik nicht und ich mag die Mullahs nicht.“ Dann lässt er sich im Schneidersitz auf dem Teppich nieder, pumpt sein Akkordeon auf und spielt ein melancholisches Lied aus der Zeit des Schah-Sturzes, als die Revolution noch nicht den Beinamen „islamisch“ hatte. Der Refrain: „Gebt die Hoffnung nicht auf, Freunde.“