: Tod im Cayuco
Noch nie sind so viele Bootsflüchtlinge aus Afrika gestorben wie in diesem Jahr. Die Überfahrt dauert nicht mehr Tage, sondern Wochen
AUS MADRID REINER WANDLER
Der Traum von Europa endete in den letzten Tagen für mindestens 22 afrikanische Flüchtlinge mit dem Tod. Ihre Leichen wurden am Sonntag an der Küste des westafrikanischen Landes Mauretanien angespült. Die dortigen Behörden befürchten, dass die Zahl der Toten noch erheblich steigen könnte. Denn laut Ermittlungen sind mindestens zwei Fischerboote verschollen. Die Cayucos, wie die Holzschiffe in Spanien genannt werden, bieten für 90 bis 170 Menschen Platz. Die Insassen zweier weiterer Cayucos entgingen nur knapp dem Tod. Die mauretanische Polizei barg ein Boot mit 92 Menschen an Bord aus schwerer Seenot. Die Insassen schöpften seit zwei Tagen verzweifelt Wasser aus dem leckgeschlagenen Gefährt. Im zweiten Boot war der Motor ausgefallen, 87 Flüchtlinge konnten gerettet werden. Nach Angaben der mauretanischen Behörden waren alle schwer erschöpft.
Doch dies sind nur die letzten einer ganzen Serie von Tragödien. So wurden alleine seit Jahresbeginn auf den Kanarischen Inseln, das Ziel der meisten Flüchtlinge, 490 Tote geborgen. Das gab am Wochenende die kanarische Regionalregierung bekannt. Der Rote Halbmond und das Rote Kreuz schätzen die Zahl der Verschollenen auf der langen Überfahrt von Afrika auf die Urlaubsinseln im Atlantik gar auf 2.000 bis 3.000. Diese Zahl ist so hoch wie nie. Dem gegenüber stehen 19.000 Schwarzafrikaner, die mit ihren Booten das spanische Archipel seit Januar erreicht haben. Das ist sind doppelt so viele Flüchtlinge wie im gesamten Rekordjahr 2002.
GPS statt Schlepper
Auch auf der italienischen Insel Lampedusa schlagen die Flüchtlingszahlen alles bisher Dagewesene. 12.000 Menschen erreichten in diesem Jahr die Mittelmeerinsel. Im August war Lampedusa immer wieder durch angeschwemmte Leichen in die Schlagzeilen geraten. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres sind nach Angaben der italienischen Behörden insgesamt 300 Schlepper festgenommen worden.
Es scheint paradox, doch je mehr Küstenwache eingesetzt wird, um so gefährlicher wird die Überfahrt. Immer mehr Boote starten ohne Schlepper an Bord. Sie werden oft von einem Flüchtling gesteuert, der früher einmal im Fischfang tätig war. Das GPS-Navigationsgerät ersetzt die Ortskenntnis.
Und auf dem Atlantik werden die Wege immer länger. Seit Spanien erfolgreich auf Marokko eingewirkt hat, um das Ablegung von Flüchtlingsbooten von der marokkanischen Küste sowie von der besetzten Westsahara aus zu unterbinden, starten die Boote weiter im Süden. Zuerst ging die neue Route über Mauretanien. Doch auch hier erreichte die spanische Diplomatie, dass die Regierung gemeinsame Küstenpatrouillen einrichtete. Spanien entsandte ein Boot und einen Helikopter und stellte der Polizei des westafrikanischen Landes im Rahmen der Entwicklungshilfe zwei ausgediente Schiffe zur Verfügung. Die Flüchtlinge versuchen seither ihr Glück im Senegal. Die angeschwemmten Toten sowie die auf hoher See geretteten Bootsflüchtlinge starteten vermutlich von dort aus. Aus anfänglich 90 Kilometer Überfahrt sind über 2.500 Kilometer geworden. Statt einem Tag sind die Flüchtlinge mittlerweile ein bis zwei Wochen unterwegs.
Schlupfloch Senegal
Auch das Schlupfloch Senegal mit seiner 730 Kilometer langen Küste soll jetzt gestopft werden. In der vergangenen Woche reiste der spanische Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba in die senegalesische Hauptstadt Dakar, um seinen Amtskollegen Ousmane Ngom zu treffen. Bereits in den kommenden Tagen sollen gemeinsame Küstenpatrouillen aufgenommen werden. Spanien wird dabei von der EU mit zwei Booten unterstützt. Ein italienisches Schiff wird vor dem Senegal eingesetzt und ein portugiesisches vor den Kapverden.
Viele spanische NGOs bezweifeln, dass das Abkommen mit Dakar den Flüchtlingsstrom tatsächlich eindämmen kann. „Rein polizeiliche Maßnahmen werden nur bewirken, dass die Flüchtlinge noch weiter im Süden ablegen“, sagt Luc André Diouf. Der Senegalese ist der Verantwortliche für Immigration in der Gewerkschaft CCOO auf den Kanaren und berät die Regionalregierung in Ausländerfragen. Er befürchtet, dass es dann zu noch mehr Toten kommen könnte. Seine Lösung: „Europa muss Afrika mit Investitionen helfen, um den Menschen eine Perspektive in ihrer Heimat zu geben.“ Vor allem in der Landwirtschaft und im Fischfang müssten Arbeitsplätze geschaffen werden. „Die Union muss Verträge mit allen betroffenen afrikanischen Länder schließen, und nicht ein Land nach dem anderen anbinden, je nachdem wo die Flüchtlinge losfahren.“