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Archiv-Artikel

Bestimmt kein netter Mensch

CLAUDE LANZMANN Bei der Lesung aus seiner Autobiografie lässt er sich nicht beirren – weder von falschen Übersetzungen noch von der Moderatorin

Im ausverkauften Berliner Ensemble besah er sich das Publikum mit einer gewissen herausfordernden Skepsis. Vielleicht mit der des 18-jährigen Résistance-Kämpfers

Claude Lanzmann ist ein Trumm von Mannsbild. Trumm ist der in Bayern noch gebräuchliche Singular von Trümmer. Was konkret auch bedeutet, dass der 85-jährige Lanzmann, wie er sich im Lauf des Abends zweimal von dem enorm hässlichen blauen Sofa im Berliner Ensemble erhob und sich hinter ein wackliges Stehpult begab, um aus seiner Autobiografie „Der patagonische Hase“ im Original vorzulesen, an keinen anderen als an Franz Josef Strauß gemahnte.

Was er dort las, erschloss sich leider nur den des Französischen Mächtigen, denn die Dramaturgen des Abends hatten entschieden, den Schauspieler Peter Fitz, der eigentlich die deutschen Übersetzungen vortragen sollte, andere Passagen lesen zu lassen. Ein Claude Lanzmann lässt sich von solchen Petitessen natürlich nicht verwirren.

Dass er mit der Moderatorin des Abends, Barbara Wahlster von DeutschlandRadio Kultur, warm geworden wäre, kann man aber auch nicht behaupten. Er ließ sich sogar zu einer fast schon groben Uncharmantheit hinreißen, die das Klischee des galanten Franzosen eklatant unterlief. Auf die Frage Wahlsters, wie sich die für ihre Begriffe von Lanzmann vorgenommene Stilisierung Jean Paul Sartres zum Geistesheros und größten Schriftsteller Frankreichs erklären lasse und ob möglicherweise die Zugehörigkeit zu einer anderen Generation hier den Zugang versperre, fragte Lanzmann unter großer Zustimmung des Publikums zurück, ob man denn nicht derselben Generation angehöre. Was nicht der Fall ist.

Mehr als indigniert war Lanzmann allerdings, als er zur Kenntnis nehmen musste, das jenes Thema, das auch an diesem Abend für Aufregung hätte sorgen können, nämlich sein Verhältnis zu Israel, von der Moderatorin gar nicht abgefragt wurde. Er betonte also selbst ausdrücklich, dass dies in seiner Autobiografie ausführlich zu Sprache komme.

Claude Lanzmann ist, um es mit Jörg Fauser zu sagen, bestimmt kein netter Mensch, sondern Autor und Filmemacher, „einer der Dunkelmänner also, die beim ältesten Verfassungsschutz der Welt angestellt sind – beim Verfassungsschutz für Sprache und Zweifel“.

Im ausverkauften Haus besah er sich dieses Publikum, ganz überwiegend jenseits der 50, wenn nicht der 60, mit einer gewissen herausfordernden Skepsis. Vielleicht mit der des 18-jährigen Résistance-Kämpfers, der, wie er erläuterte, damals nicht wusste und es auch heute noch nicht weiß, ob er den Mut gehabt hätte, sich den Folterungen der Gestapo und dem daraus fast sicher resultierenden Verrat seiner Kameraden durch Selbstmord zu entziehen.

Der rote Faden seiner Biografie sei der Konflikt zwischen Mut und Feigheit. Er habe wagemutige Sachen getan in seinem Leben, aber da die Gestapo ihn nun mal nicht verhaftet habe, und er somit nicht vor diese existentielle Wahl gestellt worden sei, müsse er sich den Vorwurf machen, ein „Amateur“ geblieben zu sein.

In seinem Leben? In seinem Werk? Die Übersetzerin stockte da etwas. Und die Moderatorin fragte nicht nach, es galt, andere Themen des Buches anzuschneiden. Schade eigentlich. Über Mut und Feigheit hätte man im Haus Brechts und Heiner Müllers gern noch mehr erfahren.

AMBROS WAIBEL