Nicht mit Wolf heulen

Mülheim hat die Ausweisung langjährig geduldeter Flüchtlinge ausgesetzt. NRW-Innenministerium lehnt einen Abschiebestopp weiter ab, dabei steigt die Aussicht auf eine Bleiberechtsregelung

VON NATALIE WIESMANN

Die Stadt Mülheim will nicht ihrem Innenminister folgen: Die Abschiebung von langjährig geduldeten Flüchtlingen wurde dort zunächst ausgesetzt. Die Kommune greift damit einer Bleiberechtsregelung vor, die auf der nächsten Innenministerkonferenz (IMK) im November beschlossen werden soll. „Es wäre inkonsequent, sich für ein Bleiberecht einzusetzen und gleichzeitig potenzielle Kandidaten auszuweisen“, begründet Udo Brost, Leiter der Ausländerbehörde, das Vorgehen seiner Stadt.

Bundesländer wie Berlin, Sachsen und seit neuestem auch Thüringen haben die Abschiebung von aussichtsreichen Bleiberechtsanwärtern per Verordnung gestoppt. Auf der NRW-Landesebene gibt es keinen solchen Beschluss. Da es noch keine Eckpunkte für ein Bleiberecht gebe, komme eine Vorgriffsregelung „nicht in Betracht“, antwortet das Innenministerium auf eine Anfrage des Flüchtlingsrats NRW.

Unbeachtet dessen hat die Stadt Mülheim ihre eigene, inoffizielle Vorgriffsregelung aufgestellt: Etwa 1.000 Abschiebefälle werden dort erst einmal nicht weiter verfolgt. Zu den aussichtsreichen Kandidaten zählen Familien, die seit sechs Jahren in Deutschland geduldet sind und deren Kinder hier zur Schule gehen. Gute Karten hat jemand, der nicht von staatlicher Unterstützung lebt. Kein Bleiberecht soll es für diejenigen geben, die die Behörden getäuscht haben.

Die Stadt Mülheim ist in einer Arbeitsgruppe des Deutschen Städtetags eingebunden, die zurzeit „für eine möglichst große Zahl der Geduldeten“, wie Brost sagt, eine Regelung entwirft. Der Entwurf soll dann bei der kommenden IMK eingereicht werden. „Unsere Oberbürgermeisterin hat 2004 die ‚Europäische Charta für den Schutz der Menschenrechte in der Stadt‘ unterschrieben und dazu gehört auch der Einsatz für ein Bleiberecht“, erklärt Brost das Engagement.

Andere Kommunen folgen dem Beispiel von Mülheim nicht, passen sich der Linie des Landes an. Die Stadt Essen, ausdrückliche Befürworterin eines Bleiberechts, hat das Ministerium um eine Lösung bis zur IMK gebeten – und wurde enttäuscht: „Wir wurden angewiesen, bei Abschiebungen weiter so zu verfahren wie bisher“, so ein Sprecher. Auch migrantenfreundliche Städte wie Münster und Bonn schieben mit Hinweis auf die Landeslinie weiterhin gut integrierte Flüchtlinge ab. Dortmund behauptet, unter den Ausreisepflichtigen keine Anwärter auf ein Bleiberecht zu haben.

Dass Mülheim und womöglich weitere NRW-Städte in Eigenregie Abschiebungen aussetzen, war dem Innenministerium bisher nicht bekannt, so Sprecherin Dagmar Pelzer. Das Land werde schon deshalb kein Abschiebestopp anordnen, weil „das für die betroffenen Flüchtlinge von Nachteil sein könnte“, sagt sie. Denn auf der IMK sei der Widerstand mancher CDU-geführter Länder gegen ein Bleiberecht so groß, dass ein Vorgriff die Ablehnung verstärken könnte. „Wenn die Städte entscheiden, die Abschiebung von integrierten Familien zu vertagen und dafür erst Straftäter abzuschieben, ist das aber ihre Sache“, so Pelzer.