: Im Realo-Land erwacht die Linke
In Baden-Württemberg wollen die grünen Realpolitiker ihrem Nachwuchs den Landesvorsitz anvertrauen. Da sehen die letzten Linken ihre Chance und begehren auf
BERLIN taz ■ Baden-Württembergs Grüne sind ein glücklicher Landesverband. Im Frühjahr kam es zwar nicht zur ersehnten schwarz-grünen Landesregierung in Stuttgart, aber die Landtagsfraktion wuchs auf 17 Leute. Dazu kommen 8 Bundestags-, 2 Europaabgeordnete und 3 Oberbürgermeister. Selbst für ganz alte Recken gibt es was zu tun. Rezzo Schlauch etwa schmückt den Atomkonzern EnBW. Vielleicht ist das alles zu viel Glück. Denn auf einmal rumst es.
Es fing damit an, dass bei so vielen Posten niemand übrig war, der den glücklichen Landesverband führen mochte, jedenfalls niemand vom herrschenden Realo-Flügel. 3.000 Euro Aufwandsentschädigung im Monat und wenig Einfluss auf Parlamentsarbeit – der Landesvorsitz ist nicht begehrt. So wurde zunächst vergeblich gesucht, seit Andreas Braun, die eine Hälfte der Realo-Doppelspitze, bekannt gab, dass er aus familiären Gründen aufhört. Irgendwann hatten die Realos die Idee, den Nachwuchs zu nehmen. Mobilisiert wurden gleich zwei: Daniel Mouratidis, 29, gerade mit dem Studium in Konstanz fertig, und Alexander Schenk, 28, Kreischef in Schwäbisch Gmünd und Betriebswirt. „Wenn wir jüngere Wähler ansprechen wollen, brauchen wir dafür ein Gesicht“, sagt Petra Selg, 45, die verbleibende Doppelspitzenhälfte.
Niemand fiel ein, dass in der „Mittelstandspartei“, wie sich die Südwest-Grünen nennen, noch Linke sind. Dafür erinnerten sich die Linken, dass sie noch da sind: Sylvia Kotting-Uhl, 54, selbst mal Landeschefin und jetzt im Bundestag, polterte öffentlich, die Doppelspitze sei nicht zur „Politikschulung“ da. Für die zwei käme so ein Amt „viel zu früh“.
Das ärgert nun wieder die Nachwuchsstars. Schenk gibt Bescheid, er fühle sich „mental durchaus erwachsen“. Als Vertreter der Grünen Jugend habe er oft im Parteirat gesessen: „Es gab da Ältere, die haben fünf Stunden nichts gesagt. Ich schon.“ Mouratidis schimpft, er finde es „ätzend“, wenn Grüne Altersfragen diskutierten wie die CDU.
Klingt nach Generationenstreit. Aber bei den Realos schleicht sich die ungewohnte Angst ein, dass es den Linken in Wirklichkeit darum geht, ein bisschen Macht zu erobern: mit einer tüchtigen linken Landeschefin. Plötzlich ist der ungeliebte Posten ganz wichtig.
Sylvia Kotting-Uhl beschwichtigt, sie könne für die marginalisierten Linken keine Doppelspitzenhälfte fordern. Aber: Sie halte es für „wünschenswert“, dass die Linken ganz vorne vertreten seien. Kandidaten nennt sie nicht. Im Rennen ist jedoch Beate Müller-Gemmeke. Sie bestätigt, dass sie gefragt wurde. Ob sie antritt, will sie später entscheiden. Die linke Sozialpädagogin sitzt seit 2003 im Landesvorstand und ist 45 Jahre alt. GEORG LÖWISCH