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Archiv-Artikel

Waffen fürs Theater

NEUES DRAMA Ein wütender junger Mann: Oliver Kluck ist der derzeit meistgespielte Jungdramatiker. Porträt eines Beschwerdeführers

„Was wir gelernt haben in unserer Generation, ist, dass man uns aussitzt. Man tut nur so, als würde man uns zuhören. Aber mit den Mitteln des Theaters und der Literatur werden wir den Leuten die geeigneten Waffen an die Hand liefern!“

OLIVER KLUCK

VON BARBARA BEHRENDT

„Das ist verboten!“, unterbricht sich Oliver Kluck und zeigt auf die Straße. Dort biegt gerade ein BMW in einen Abschnitt ein, der nur für die Tram freigegeben ist. Dann amüsiert er sich über seine impulsive Geste – typisch für einen Menschen, dessen Schreibkarriere mit dem Verfassen von Beschwerdebriefen begann.

Seine Texte sind durchdrungen vom Zorn über gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und über das Unvermögen einer ganzen Generation, sich zu widersetzen. Damit hat sich Oliver Kluck zu einem der meistgespielten Jungautoren am deutschen Theater hochgearbeitet. 2009 gewann er mit „Das Prinzip Meese“ den Förderpreis des Stückemarkts des Theatertreffens in Berlin. Mit „Warteraum Zukunft“ hat der 30-Jährige den Kleist-Förderpreis bekommen, das Stück wird mittlerweile am Hamburger Schauspielhaus (ab 22. 9.), in Göttingen (Premiere am 16. 9.), dem Deutschen Theater Berlin, in Weimar und Frankfurt an der Oder gespielt. Dass ein Stück innerhalb einer Spielzeit vier Mal nachgespielt wird, ist ungewöhnlich für den auf Uraufführungen versessenen Theaterbetrieb.

Wut ist eben eine gute Antreiberin. Ihr zugrunde liegt bei Kluck kein Zerstörungswillen, sondern ein gewisser Stolz, das Wissen um die eigene Würde: „Wenn jemand vorsätzlich versucht, mich über den Tisch zu ziehen, dann wehr ich mich.“ Er hat sich oft gewehrt und dabei einen ziemlich weiten Weg zurückgelegt. Geboren wurde er 1980 auf Rügen, die Mutter Friseuse, der Vater inzwischen Altenpfleger. Nach der Realschule folgte die Lehre zum Wasserbauer. Als er wegen eines Behördenfehlers beim Wehr- statt beim Zivildienst landete, wurde diese „größte Ansammlung von Idioten“ seine erste Spielwiese für renitentes Verhalten.

Er erzählt sehr anschaulich: „Am Anfang bin ich noch mit einer Waffe rumgelaufen, bis ich dachte: Was willst du mit der Flinte, verflucht? Du hast doch gar keine Lust, jemanden abzuknallen. Ich hab sie dann im Auto eingeschlossen, hat gar keiner gemerkt.“ Zwei Wochen lang. Dann gab es eines von vielen Disziplinarverfahren. Kluck legte Berufung ein: In der Bibliothek hatte er sich die entsprechenden Gesetzestexte angelesen. Einen Beschwerdebrief nach dem nächsten setzte er auf.

Lust auf Brandbomben

An der Hochschule in Warnemünde, wo Kluck zum Unverständnis seiner Familie („Die haben gesagt: Das ist Dreck, du musst arbeiten gehen“) ein Ingenieurstudium begann, ging es weiter damit, die Spielregeln genau zu überprüfen: „Da hatte ich aber schon gewisse Kampferfahrung.“ Es ist eine ordnungsbesessene Rebellion, die Kluck betreibt. „Der Staat hat mich versaut. Ich habe mich an die Regeln gehalten und er nicht, und das geht doch nicht in Ordnung.“ Er sagt das mit einer ehrlichen Entrüstung, die an Kleists Michael Kohlhaas erinnert: Wenn der Staat Regeln übertritt, dann ist Selbstjustiz gerechtfertigt. Gegenseitiger Respekt, würdevoller Umgang, das sind Werte, die Kluck wichtig sind. Für deren Einhaltung lässt er sich auch konservativ nennen oder einen Spielverderber: „Einer muss ja die Prügel einstecken.“

Dass er seinen Unmut in Texten äußern will, wurde ihm mit jedem Beschwerdebrief klarer: „Ich hatte große Lust, Brandbomben zu werfen, aber es stellte sich heraus, dass das Schreiben viel gefährlicher ist.“ Es wundert einen nicht, warum Oliver Kluck spätestens ab diesem Zeitpunkt an vielen Stellen aneckte. Auch am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, wo er dann studierte: „Ich war denen nicht angenehm, weil ich auch ein drittes Mal nachfragte.“

In seinem prämierten Text „Warteraum Zukunft“ hat sich Kluck mit dem Wahnsinn der Arbeitswelt Gleichaltriger auseinandergesetzt. Gnadenlos unsentimental beschreibt er den Büroalltag eines Jungingenieurs, der sich abwechselnd streckt und buckelt und letztlich mit einer „Beförderung“ nach Rumänien belohnt wird. Im Text „Zum Parteitag Bananen“ analysiert er dagegen mit bösem Witz die Post-DDR und ihre Versäumnisse. Sein neues Stück „Feuer mit mir“ dreht sich nun um einen jungen Mann, der einen Amoklauf überlebt hat und an die renovierte Schule zurückkehrt. Das schreibt sich leicht dahin, dabei muss man Klucks Texte mindestens zwei Mal lesen, bis man versteht, worum es geht. Er definiert weder Figuren, noch gibt er vor, wer welche Passage spricht.

Es richtig krachen lassen

Für einen experimentierfreudigen Regisseur sind das beste Voraussetzungen. Klucks Theaterverständnis ist das von einem Labor, „wo du es mal richtig krachen lassen kannst“. Und er lädt andere ein, mitzumachen: „Gemeinsam könnten wir ein dickes Ding drehen. Was wir gelernt haben in unserer Generation, ist, dass man uns aussitzt. Man tut nur so, als höre man uns zu. Die Uni besetzen, das ist die Sprache der 68er, das interessiert keinen. Aber mit den Mitteln des Theaters und der Literatur werden wir den Leuten die geeigneten Waffen an die Hand liefern!“

Was das bedeutet, wird sich wohl in einem der Kluck-Labore zeigen, die ab Oktober am Theater Weimar laufen. Kluck lebt in Berlin, ist dem Haus aber verbunden – gemeinsam hat man sich auf den Begriff „Außerhausautor“ geeinigt. Das ist seine Reaktion auf die Forderung von Dramatikern, als „Hausautor“ fest an ein Theater gebunden zu werden. „Es ist doch ein Riesengewinn, wenn jemand von außen etwas einbringt und man ihn nicht rauswerfen kann.“ Für jemanden, der einem Michael Kohlhaas nahe steht, ist das beileibe sinnvoll.

■  „Warteraum Zukunft“. 16. 9. Premiere am Jungen Theater Göttingen, Regie: Alexander Krebs ■  Am Schauspielhaus Hamburg ab 22. September, Regie: Alice Buddeberg