: Die gehäkelte Filminterpretation
AUSSTELLUNG Wollweiche Hommage an einen Film von Luis Buñuel: „Der diskrete Schwarm der Bourgeoisie“ in der Galerie Art Cru
Betritt man die Räume der Galerie Art Cru Berlin, fällt sofort auf, dass die dort ausgestellte Kunst etwas anders ist. Etwas ungewöhnlicher. Etwas individueller. Oder wie die Gründerin der Galerie Art Cru, Alexandra von Gersdorff-Bultmann, sagt: „authentisch“.
Manche der Künstler dieser Ausstellung sind Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischen Erkrankungen. „Der diskrete Schwarm der Bourgeoisie“, so der Titel, geht auf eine Zusammenarbeit zurück. Thikwa, die Werkstatt für Theater und Kunst, und das Theater Thikwa haben sich Unterstützung bei der Performancekünstlerin Anne Tismer geholt. Gemeinsam haben sie den Film „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ auf eine ganz eigene Art und Weise bearbeitet: zuerst in einer Performance, nun in der Ausstellung.
Drei Monate lang haben sich die Beteiligten mit der Bildsprache des Spielfilms von Luis Buñuel aus dem Jahr 1972 beschäftigt und den Fokus dabei nicht auf die Figuren gelegt, sondern auf die Requisiten, die viele kleine Repräsentanten des bourgeoisen Alltags sind. Aus Wolle gehäkelt befindet sich ein Teil davon auf einem Tisch in der Mitte des Raums: Teller, Becher, Flaschen und Gemüse.
Im Film nimmt dieser Tisch einen besonderen Platz ein, denn um ihn herum sollen sich sechs Freunde einfinden, die sich zum Essen verabredet haben. Zwischenfälle und Missverständnisse verhindern dieses Treffen ständig. Der Film ist dabei von einer surrealistischen Erzählweise geprägt, durch die der Wahrheitsgehalt der Darstellung immerzu infrage gestellt wird.
Dieser Grundgedanke wird durch die Auswahl der Materialien aufgenommen, die alltägliche Gegenstände zweckentfremden und sie so zu einer Hülle ohne Sinn pervertieren. Dadurch, dass der Vorgang des Häkelns eine zeitintensive und sehr präzise Arbeit ist, verstärkt sich die Wirkung der Sinnlosigkeit. Im Gegensatz zum Guerilla Knitting, das Gegenständen im öffentlichen Raum einen Wollkokon verpasst, erschafft dieser Künstlerschwarm eigene Objekte. Sie dienen allein der Abbildung von Bekanntem, nicht ihrer Benutzung.
Auch die Fragilität wird in einigen Kunstwerken in der Galerie Art Cru widergespiegelt. So baumeln an einem Faden aus Wolle gehäkelte Maschinengewehre über dem Tisch, deren vordere Teile sich Richtung Tisch neigen. Im Film gehören diese Gewehre einem korrupten Botschafter, der zum Essen eingeladen ist. Doch der lappige Stoff nimmt den Gewehren ihre Bedrohlichkeit. So wirken sie nur noch skurril und flauschig-ansprechend zugleich.
Fragil ist auch die Darstellung des Universums, in dem sich die Protagonisten des Films befinden. Aus Maschendraht geformte Kugeln hängen an einer Vorrichtung aus einzelnen Drähten und wirken, als ob sie jeden Moment abstürzen könnten. An den kleinen Planeten wurden Kreise aus Wolle angebracht. Diese finden sich auch wieder an der aus Pappmaché gebauten Limousine, die fast einen ganzen Raum einnimmt. Auf den ausgestellten Bildern, die mit Filzstiften, Wachskreide, Buntstiften oder Acryl gemalt wurden, kommen all diese Objekte immer wieder vor.
Auch wenn diese Welt ohne Sinn zu sein scheint, erschreckend ist sie nicht. Auf den Betrachter wirkt sie vielmehr trotz ihres Angriffs auf die übliche Ordnung sehr freundlich.
LISA MAUCHER
■ Galerie Art Cru, bis 5. April, Di.–Sa., 12–18 Uhr