sommerfrische : Urlaub an der Nutztierroute
Was fängt man mit einem verregneten August an? Man macht Urlaub. Wir zum Beispiel in Seedorf-Godenstedt, wodurch die EinwohnerInnenzahl dieses beschaulichen Dorfes nordwestlich von Zeven auf 189 angeschwollen ist. Besondere Kennzeichen: Ein Mammut im Wappen, Goldmedaille 1975 bei „Unser Dorf soll schöner werden“, ausschließlich parteilose Ratsmitglieder. Und ein Ehrenbürger Peter Struck. Das allerdings ist, urlaubstechnisch, ein eher schlechtes Omen.
Der frühere Verteidigungsminister wurde für seine Entscheidung geehrt, die nahe gelegene Kaserne wieder mit Soldaten zu füllen. Früher stürmten ab und an vermummte Männer mit Rudi Carell-Akzent aus dem Wald, jetzt sind die letzten Einheiten der niederländischen Armee abgezogen, die Deutschen kommen erst noch. Mit anderen Worten: Derzeit kann man hier optimal Urlaub machen. In Ruhe mit dem Trecker durch die Gegend gurken. Die Oste bepaddeln. Mühlencafés testen. In der Zevener Buchhandlung das Werk „Deutsche Feldkolosse“ bestaunen, das wiederum von Traktoren handelt.
Weitere Varianten: Im Heu herumtollen oder die Kinder ins geräumige Kaninchengehege oder zu den Pferden schicken. Wir nämlich wohnen „Im Dorfe Nummer 1“. Gute Adresse, altes Fachwerk, den Trecker – hatte ich ihn schon erwähnt? – kann man gratis nutzen. Michael Voss hat 2.000 Schweine und rund 90 Familien, die hier regelmäßig Urlaub machen. Nach und nach soll sich das Verhältnis zu Gunsten der Urlauber verschieben. Schließlich gibt es außer Treckerfahren und Trampolinspringen noch zahlreiche weitere Attraktionen. Vergangene Woche, zum Beispiel, den feierlichen Zug der Schützen über die Ostebrücke. Zwar wohnt in Godenstedt nur der Vizekönig des Vereins, aber auch der will feierlich geleitet sein. Mit blank gezogenem Degen geht’s zum Dorfgemeinschaftshaus, „wegtreten zum Umtrunk“ – „Hurra!“. Wir dürfen mittrinken.
„Im Dorfe Nr. 1“ liegt übrigens unmittelbar an der „Nutztierroute“, kurz NTR. Da an deren Rändern weder eine außergewöhnliche Schweineschwemme noch eine Kuhkonzentration zu beobachten ist, verweisen die vielen „NTR“-Schilder vor allem auf eines: die schier unerschöpfliche Kreativität des Landkreises beim Ausweisen immer neuer Erlebnisstrecken. Mittlerweile gibt es 17 regionale Thementouren, von der „Kranich-“ über die „Ähren-“ bis zur „Kräuterroute“. Ganz zu schweigen von der „Wald-“ und der „Wirtshausroute“.
Aber die Landschaft ist es ja auch wert, weiträumig beradelt zu werden, unter welchem Etikett auch immer. Die huckelige „Hügelgräberroute“ kann es sich sogar leisten, die „Steinalkenheide“ auszulassen. Hier sind noch 70 Uralt-Gräber zu bewundern (der Rest ist weggepflügt), wobei das mit dem Bewundern natürlich sehr subjektiv ist. Meine Freundin zum Beispiel ist eingefleischte Hünengrab-Skeptikerin – „wo soll hier was zu sehen sein?“ Auch mein ältester Sohn leistet seinen Beitrag: „Papa, warum sind die Hühner gestorben?“ Ungerührt bugsiere ich die archäologisch ignorante Familie durch den Erika- und Eichenbewuchs – na Bitte, da vorn kann man sogar reingehen, der Kreisarchäologe hat eine Steinkammer rekonstruiert. Und Erklärungstafeln aufgestellt: Das Grab war mal 25.000 Jahre alt, jetzt sind es noch 2.500, die überzählig gewordene Null ist ordentlich abgeklebt.
Zurück zum Deutz-Einzylinder: Wenn der Sprit knapp wird, bleibt er alle hundert Meter stehen. Aber Michael kümmert sich rührend um liegen gebliebene Urlauber, schließlich helfen die ja auch beim Kartoffelroden. Was will man mehr auf dem Land? Sonne. Aber ohne geht’s auch.HENNING BLEYL