: Schlauer werden geht mit links
taz-Serie „Wer ist links?“ (Teil 1): In der Bildungspolitik geht es um bessere Chancen, da sind sich alle Parteien einig. Gegen das bestehende selektive Schulmodell setzen linke Parteien das Konzept gemeinschaftlichen Lernens. Aber nur die PDS hat konkrete Pläne zur Schaffung einer „Schule für alle“
VON ALKE WIERTH
„Unterfordert“ seien die Kinder in den Grundschulen, klagt eine Mutter im Frühprogramm eines Radiosenders, der Eltern über ihre Erfahrungen mit Schule befragt. Zu sehr orientiere sich der Unterricht an den schwächsten Schüler. Ihre Kinder würden sich deshalb in der Schule oft langweilen, berichtet die Frau.
Am Akzent der Anruferin ist zu erkennen, dass es sich um eine Zuwanderin handelt. Ihre Kinder gehören damit zu einer Schülergruppe, die in der Bildungspolitik von vielen eher als Teil des Problems denn als Teil der Lösung betrachtet wird. „NdH“ heißt das Stigma: Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache, nichtdeutscher Herkunft, Migrantenkinder. Für viele SchulleiterInnen ist es mittlerweile Alltag, dass Eltern auf der Suche nach der richtigen Schule für ihr Kind danach fragen, wie viele Migrantenkinder unter ihren SchülerInnen sind – für eine wachsende Zahl von Eltern ist ein hoher Anteil ein Grund, woanders weiterzusuchen.
Dass es längst nicht mehr nur deutsche Eltern sind, die diese Frage stellen, dass längst nicht alle Kinder, deren Eltern nicht in Deutschland geboren sind, spezieller Förderung bedürfen – diese Tatsachen stehen denen gegenüber, die die Pisa-Studien, aber auch die in Berlin durchgeführten Sprachstandserhebungen abbilden: Tatsächlich haben SchülerInnen nichtdeutscher Herkunft oft ungenügende Deutschkenntnisse, tatsächlich schneiden sie im Verlauf ihrer Schulzeit im Durchschnitt schlechter ab als Schüler deutscher Herkunft, tatsächlich haben sie weniger Chancen, Abitur zu machen, und verlassen die Schulen überdurchschnittlich häufig ohne Abschluss.
Dass das nicht so bleiben kann – darüber sind sich im Kern alle Parteien einig. Und auch darüber, dass benachteiligte SchülerInnen besondere Förderung brauchen. „Wenn 30 Prozent der Migrantenkinder ohne Abschluss von der Schule gehen, dann hat der Staat eine seiner Kernaufgaben nicht erfüllt“, sagt Mieke Senftleben, die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Und auch ihre CDU-Kollegin Karin Schulze-Berndt sieht diesbezüglich den Staat in der Pflicht: „Natürlich hat die Schule die Aufgabe, Ungleichheiten auszugleichen“, sagt sie.
Gleiche Chancen für alle – von dieser Forderung linker Bildungspolitiker sind die beiden aber weit entfernt. „Chancengerechtigkeit“ heißt ihre Devise, und wie fast immer liegt beim „Wie“ der Hase im Pfeffer.
„Einheitsschule“ nennen die VertreterInnen von CDU und FDP polemisch den Vorschlag der PDS, eine Gemeinschaftsschule für alle SchülerInnen mindestens bis Klasse 10 zu begründen. Sie setzen stattdessen auf Vielfalt – jedenfalls in der Schullandschaft. Nicht nur sollen, wie von der sozialdemokratisch geführten Senatsschulverwaltung bereits betrieben, Schulen sich durch individuelle pädagogische Schwerpunktsetzung stärker voneinander unterscheiden und zueinander in Konkurrenz treten. Auch durch Förderung von Privatschulen soll die Zahl der Angebote erhöht werden. Eltern hätten damit größere Wahlmöglichkeiten – dass dies soziale und ethnische Vielfalt innerhalb der Klassenzimmer, wie bereits jetzt zu beobachten ist, eher verringert, hält Bildungspolitikerin Schulze-Berndt nicht für einen Nachteil: Je einheitlicher eine Klasse sei, meint die Christdemokratin, desto mehr könne individuelle Förderung stattfinden. „In den heterogenen Klassen einer Einheitsschule, wie die PDS sie will, ist das nicht zu leisten.“
Carola Bluhm, stellvertretende Vorsitzende und Bildungsexpertin der PDS-Fraktion, findet das „total verdreht“: „Denn wir haben ja eigentlich jetzt eine Einheitsschule, die Kinder nach sozialer Herkunft gliedert.“ Durch die von FDP und CDU angestrebten Maßnahmen würde sich die Segregation noch verstärken. Und gute Erfolge, so Bluhm, habe dieses System ja offenbar nicht: „In skandinavischen Schulen gibt es bei der Integration benachteiligter SchülerInnen viel bessere Erfolge.“
Dort gibt es die Gemeinschaftsschule, und die Pisa-Studien haben ihr ein gutes Leistungsniveau bestätigt. Dass die PDS ihre Idee mit dem Slogan „Berlin wird skandinavisch schlau“ bewirbt, hat aber nicht nur damit zu tun. Vermieden werden soll damit wohl auch die Erinnerung an die Polytechnische Oberschule der DDR, in die alle Schüler von der ersten bis zur zehnten Klasse gingen.
Vielleicht liegt hier der Grund, warum sich auch SPD und Grüne so schwer tun mit der Idee der Gemeinschaftsschule. Gesamtschule ja, auch über die Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen darf gesprochen werden. Doch eine Gemeinschaftsschule, die letzten Endes auch zur Abschaffung der Gymnasien führen würde? „Wir halten an dem Ziel der Gemeinschaftsschule fest“, sagt jedenfalls Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus. Die Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen sei nur ein „Zwischenschritt, um Selektionsmechanismen langsam abzubauen.“ Man müsse auch sehen, wozu die Bevölkerung bereit ist, so Mutlu. An der Idee der Chancengleichheit hält er fest: „Chancengerechtigkeit bedeutet doch letzten Endes, jeder solle bekommen, was er verdient“, meint der türkischstämmige Grüne: „Akademikerkind aufs Gymasium, Arbeiterkind auf die Hauptschule – ungefähr so ist es jetzt.“
Chancengleichheit – auch für die Sozialistin Bluhm ist das ein zentraler Begriff, wenn er auch „historisch eigentlich ein sozialdemokratischer“ sei. Immerhin haben die einst die Gesamtschule eingeführt. Wo die Sozialdemokraten heute bildungspolitisch stehen, ist schwerer greifbar als bei allen anderen Parteien. „Der Zugang zu Bildung muss unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht, Alter und Einkommen gewährleistet sein“, steht in ihrem Wahlprogramm und könnte so wohl im Programm jeder Partei stehen. Statt Chancengleichheit benutzen auch die Sozialdemokraten lieber das Wort Chancengerechtigkeit – Özcan Mutlus Definition muss ja auch nicht stimmen.
Dass der Sozialdemokrat Klaus Böger als Bildungssenator immer ein bisschen das Gefühl vermittelt, es irgendwie allen recht machen zu wollen, liegt an seiner Rolle – dass er es genau so gerade nicht schafft, auch. Böger habe für verbesserte Chancen von Zuwandererkindern eine Menge getan, attestieren ihm Migrantenverbände respektvoll. Dass er sich mit einer kompletten Neustrukturierung des Schulsystems schwertut, hat mit einem Satz zu tun, mit dem sein grüner Kollege Mutlu wohl Recht hat: Man müsse sehen, wozu die Bevölkerung bereit ist. Wenn es um die Schule für’s eigene Kind geht, wissen nämlich auch viele Linkswähler ein breites Angebot zu schätzen.