BESLAN MARKIERT DAS ENDE DER DEMOKRATIE IN RUSSLAND : Die Logik der Angst
Zwei Jahre nach dem Blutbad von Beslan gibt es offiziell noch immer keine Klarheit darüber, was damals dort tatsächlich geschehen ist. Natürlich liegen Erkenntnisse vor. Nur stammen sie nicht aus den Federn der autorisierten Untersuchungskommission. In Beslan starben nicht nur 330 Menschen, die noch leben könnten, hätte der Staat ein Einsehen gehabt. Dort blieb auch das Russland auf der Strecke, das in eine lichtere Zukunft aufbrechen wollte. Mit den Toten wurden die letzten demokratischen Restbestände zu Grabe getragen.
Für den Kreml war Beslan ein Schock. Die Konsequenzen, mit denen die Macht danach aufwartete, zeugen unterdessen von einer unbeirrbaren Logik der Autokratie und einem abgrundtiefen Zynismus. Im Kampf gegen den Terror hat es Russland seit Beslan weit gebracht. Je nach Belieben kann inzwischen jeder zum Terroristen gestempelt werden, der Kritik an der Führung im Kreml übt. Russlands Terrorismus ist selbstverschuldet, und so antwortet der Kreml auch mit hauseigenen Gesetzen im Rahmen einer eigenen Logik, auf die sich Russland immer wieder gegenüber dem Westen beruft. Der Antiterrorkampf hat mit Gewalteindämmung nur wenig zu tun. Vielmehr benutzt die politisch und ökonomisch führende Klasse die Bedrohung als Instrument zur eigenen Machtsicherung. Denn sie ist sich ihrer Rolle nicht sicher und fürchtet, eines Tages für Versäumnisse und verordnete gesellschaftliche Stagnation zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Das Vorgehen in Beslan folgte dieser Logik der Angst. Vordergründig wurden die Geiseln der Staatsräson geopfert. Das geschieht auch in anderen Gemeinwesen. Nur: In Beslan stand weniger der Staat auf dem Spiel als das Image einer korrupten und unfähigen Führungsriege, für die Patriotismus nur ein Lippenbekenntnis ist. Sie fürchtet weniger islamistisch-separatistischen Terror als die Destruktivität des russischen Mobs, mit dem sie bestens vertraut ist. Und: Die Erfahrung sagt ihr, dass sich Geschichte wiederholt. In Russland passiert das alle naselang – nach jeder fehlgeschlagenen Modernisierung. KLAUS-HELGE DONATH