: Fromm, fröhlich und gut ausbalanciert
VATIKAN Ein Jahr ist er nun im Amt, der als Revolutionär gefeierte Papst Franziskus. Radikales Aufräumen hatte er angekündigt. Aber wie weit ist er damit bisher gekommen? Ein vorläufiges Resümee
VON BERNHARD PÖTTER
Der Satz des neuen Oberhirten war kein Witz, sondern Programm: „Fast bis ans Ende der Welt sind die Kardinäle gegangen, um einen neuen Papst zu finden“, rief Jorge Mario Bergoglio, frisch gekürter Papst Franziskus, am 13. März vergangenen Jahres den Menschen auf dem Petersplatz zu. Seit dieser nasskalten Mittwochnacht steht mit dem Argentinier Bergoglio zum ersten Mal ein Mann aus Übersee an der Spitze der katholischen Kirche.
Die Hoffnungen und Befürchtungen rund um diesen „Papst vom Ende der Welt“ waren enorm. Bergoglio war gewählt worden, weil er eine dezentrale und „arme Kirche“ versprochen hatte, die sich von den Seilschaften im Vatikan löst. Franziskus wünscht sich die Kirche ärmer, radikaler, frömmer und fröhlicher und balanciert dabei mit Widersprüchen: Er entmachtet die „vatikanische Mafia“ und belässt Konservative an Schlüsselstellungen der Macht. Er rehabilitiert die Theologie der Befreiung und will doch keine Revolution. Er plädiert für eine „heilsame Dezentralisierung“ und nutzt tagtäglich seine absoluten Befugnisse. Doch ob er seinen eigenen Machtanspruch als Stellvertreter Christi reduziert, um die Kirche weniger römisch und mehr katholisch („allumfassend“) zu machen, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen.
Der erste Papst aus einem Entwicklungsland richtet den Blick auf die Peripherie: Weg von einer intellektuell brillanten Theologie seines Vorgängers Benedikt XVI. zu einer einfachen „Kirche für die Armen“, die eher in Lateinamerika und Afrika als in Europa zu finden ist. Er lebt in einem kleinen Zimmer, trägt alte Schuhe und fährt Kleinwagen. Sein Lebensstil ist auch Inszenierung: Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die sozialen und physischen Ränder von Kirche und Gesellschaft. Mit persönlichem Charisma, bislang unbekannter Transparenz, einem Umbau im Vatikan und seiner konservativen „Theologie der Befreiung“ führt er die 1,2 Milliarden Anhänger der größten Glaubensgemeinschaft der Welt.
„Franziskus will, dass über Probleme geredet wird“, sagt Bernd Hagenkord, deutscher Chefredakteur von Radio Vatikan. „Er gibt diesen Debatten den nötigen Raum.“ Der Papst nutzt Transparenz gegen die Reformgegner, indem er sich Rückhalt bei den Gläubigen verschafft: Er lässt sie über Familienpolitik und Sexualmoral befragen und veröffentlicht bislang strikt geheime Protokolle der Papstwahl. Er fordert in seinem Schreiben „Evangelii Gaudium“ eine „Neuausrichtung des Papsttums“ auf die lokalen Einheiten, denn „übertriebene Zentralisierung kompliziert das Leben der Kirche“. Er rät den Bischöfen, böse Briefe aus Rom nicht so wichtig zu nehmen – ein Aufforderung, die der deutsche Theologieprofessor Wolfgang Beinert als „Rücknahme des Ersten Vatikanischen Konzils“ bezeichnet, in dem die zentrale Machtstellung und Unfehlbarkeit des Papstes zementiert wurden. In der Zentrale bekämpft der Außenseiter Franziskus die Korruption: Das neue Management der skandalumwitterten Vatikanbank IOR akzeptiert jetzt Regeln gegen Geldwäsche und schließt verdächtige Konten. Wer der permanenten Erneuerung von Franziskus im Weg steht, dem hilft nicht mal beten. Franziskus ersetzt den „Ministerpräsidenten“ des Vatikan, Tarcisio Bertone, durch seinen eigenen Mann, Pietro Parolin. Er stellt die Kardinäle Piacenza und Burke kalt, die konservativen Chefs wichtiger Kongregationen. Neben der römischen Kurie hat er sich mit den „K8“ ein Parallelgremium aus acht Kardinälen aus der ganzen Welt geschaffen, ein Gegengift gegen die Nabelschau im Vatikan.
Systematisch beschneidet Franziskus die Macht und Übermacht der italienischen Bischöfe und übergeht alte Seilschaften bei Beförderungen. Zu neuen Kardinälen, die seinen Nachfolger wählen werden, berief er im Februar vor allem Bischöfe „vom Ende der Welt“ aus Haiti, Südkorea, Burkina Faso und den Philippinen. Für Frauen als Priester, Homo-Ehe oder die Rechte von Geschiedenen hat Franziskus warme Worte der Barmherzigkeit. Er macht aber auch klar, dass etwa die Frauenfrage „nicht zur Diskussion steht“. Und das Netzwerk von Opfern sexueller Gewalt durch Priester (SNAP) moniert wie auch die UN, dass die Aufklärung der Missbrauchsfälle zu langsam geht.
Bei diesen heißen Eisen ist der konservative Reformer sehr vorsichtig. Zwar klingt sein berühmtes Schreiben „Evangelii Gaudium“ streckenweise wie das Wahlprogramm der Linken („Diese Wirtschaft tötet!“), aber seine Betonung von Familie und Gottesmutter Maria kommt bei den Konservativen gut an. Die registrieren erfreut, dass in Rom immer noch Schaltstellen mit ihren Favoriten besetzt sind: der deutsche Erzbischof Georg Gänswein war auch schon Sekretär von Benedikt XVI. und der ehemalige Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, der als konservativer Hardliner gilt – gleichzeitig aber mit dem Papst seine Begeisterung für die Theologie der Befreiung teilt –, bleibt Chef der Glaubenskongregation.
Franziskus stärkt das Selbstvertrauen der Gemeinden gegenüber Rom – aber freie Hand etwa bei der Wahl von Bischöfen oder der Verteilung von Kondomen gibt er ihnen nicht. Zu groß, meinen Experten, ist die Angst der Konservativen vor einem Schicksal wie es die anglikanische Kirche erlebt, die sich gerade im weltweiten Streit über Priesterinnen oder Zölibat zutiefst spaltet. Und wenn Franziskus erklärt, der Papst müsse nicht „die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzen“, könnten die deutschen Bischöfe einfach einmal testen, wie groß das Donnerwetter aus Rom wäre, wenn sie wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zuließen. Einige deutsche Bischöfe scheinen dazu bereit – und Mitte nächster Woche wählen sie einen neuen Vorsitzenden.