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Archiv-Artikel

Kamin ohne Kohlenmonoxid

Eine ehemalige Kegelbahn in der Dortmunder Nordstadt ist ein hitziger Treffpunkt der alternativen Kulturszene

Kaminfeuer flackert in Dortmund seit sechs Jahren auch im Fernseher. Mit Strom zwar, aber eben ohne Abgase. Zwischen Retro-Tapeten hocken dann vor einer kleinen Bühne Junggebliebene, Studenten und Nachtschwärmer. Neben sich jede Menge biologische Limonade. Alle locken die „Abende am elektrischen Kamin“ (Ekamina), das ist eine Veranstaltungsreihe mit Konzerten, Lesungen, Hörspielen und Kurzfilmen. „Einen launigen Spagat zwischen Underground und Hochkultur“ nennt das der Veranstalter Wolfgang Kienast, alias DJ Martini.

Begonnen hat der monatliche Spagat im damals noch illegalen Nordstadt-Club „Cosmotopia“. 2004 zog man dann ins „Sissikingkong“ um. Hier treffen sich inzwischen neben lokalen Künstlern auch bekannte und unbekannte Größen aus ganz Deutschland und zeigen Ausschnitte aus ihrer Arbeit. Unter ihnen Regisseur Benjamin Quabeck aus Berlin (“Nichts bereuen“ und „Verschwende deine Jugend“), der Hamburger Sänger Justin Balk oder das Kölner Kammerpop-Duo „Wolke“.

Jetzt wurde mit zwölf Kurzfilmen ehemaliger „Ekamina“-Gäste bereits sechster Geburtstag gefeiert. Zu den spannendsten Arbeiten gehörten am Abend Benjamin Quabecks Animationsfilm „Höhlenangst“ der über die Angst des Filmemachers vor dem „Drachen“ Publikum berichtet und der von Johannes Klais in Barcelona gedrehte Film „Contradicciòn“ über Selbstflucht, Ich-Spaltung und das bekannte Problem, sein „schweres Gepäck“ loszuwerden. Auch „Citizen Subway“ von Michael Kupczyk, gedreht im Dortmunder U-Bahn-System, überzeugte mit hypnotischen Bilder eines utopischen Staates auf totalitärer Fahrt. Kupczyk wurde 2004 mit dem prämierten Spielfilm „Nordstadt“ auch überregional bekannt.

Zu den Skurrilitäten am Elektro-Kamin zählen die künstlerischen Arbeiten rund um Anton Ulrich von Wolfenbüttel. Der versuchte im 17. Jahrhundert, seine Stadt zu einer geistig-kulturellen Hochburg des barocken Europa zu machen, indem er neben seine Residenz ein atemberaubendes Bauwerk auf eine sumpfige Wiese setzte. Seit der Lesung des Kurzromans „Der Holzvulkan“ von Hans Pleschinski sind Kienast und Freunde dem betriebsamen Kunstfreund in Wolfenbüttel auf der Spur. Der zweite Film über ihn ist gerade fertig geworden und soll im Oktober als „kleiner Spukfilm“ am Kamin Premiere feiern.

Morgen lesen die Autoren Michael Bresser und Martin Springenberg aus ihrem Krimi „Schwein gehabt“ – ein exquisites Underground-Stück um den Münsterländer Detektiv Dieter Nannen. Der tritt, nachdem er Freundin, Job und Wohnung verloren hat, eine Erbschaft an: Ein heruntergekommener Hof mit einem Schwein und acht Kaninchen. Hier startet er seine Privatdetektiv-Ich-AG. Im November kommt dann Martin Gottschild aus Berlin mit seiner Action-Lesung „Tiere streicheln Menschen“ zu Gast ans Elektrofeuer und im Dezember zeigt der Dortmunder Filmclub „Sweet Sixteen“ Raritäten des exzentrisch-genialen Filmemachers Norman McLaren. EVA KALWA

www.ekamina.de