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Archiv-Artikel

Die Würde der Ermordeten

ANNE-KLEIN-PREIS Der Kampf Imelda Marrufos

Manche nennen sie „die Stadt der toten Töchter“, ein Film spricht vom „Paradies der Mörder“. Ganz sicher ist Ciudad Juárez eine der gefährlichsten Orte der Welt. Tausende sind in der nordmexikanischen Grenzstadt dem „Drogenkrieg“ zum Opfer gefallen, traurige Berühmtheit erlangte sie aber zuerst, weil dort seit 1993 unzählige Frauen und Mädchen ermordet wurden. Vergewaltigt und grausam zugerichtet tauchen die Leichen später auf belebten Straßen oder in der einsamen Wüste wieder auf – weggeworfen wie Müll. Bis heute geht das Morden weiter.

Wer aufklären will und sich gegen den „Feminizid“ stellt, lebt gefährlich. Drohungen sind alltäglich, immer wieder werden Aktivistinnen ermordet. So zum Beispiel Susana Chávez und Josefina Reyes. Imelda Marrufo Nava macht trotzdem weiter. Seit zwei Jahrzehnten kümmert sich die Feministin um die Angehörigen der Opfer und kämpft dafür, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Fragt man die 39-Jährige, wie sie mit der Angst umgeht, spricht sie nicht von sich, sondern von „wir“. Von den Frauen, mit denen sie gemeinsam das Netzwerk Mesa de Mujeres organisiert. Und von der internationalen Solidarität.

Nun hat die Heinrich Böll Stiftung der Juristin den „Anne-Klein-Frauenpreis 2014“ verliehen. „Imelda und ihrem Netzwerk geht es darum, den Ermordeten ihre Würde zurückzugeben, ihnen Namen, Gesicht und Geschichte zu geben“, sagte Vorstandmitglied Barbara Unmüßig bei der Preisverleihung am Freitag.

2001 gründete Imelda Marrufo die Mesa de Mujeres, nachdem acht tote Frauen auf einem Feld gefunden wurden. Das Netzwerk sorgte mit dafür, dass der Fall vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof kam. Die Richter klagten den mexikanischen Staat an, die Sicherheit und Freiheit der Opfer und ihrer Angehörigen nicht garantiert zu haben. Zudem solle die Regierung den Feminizid als eigenen Straftatbestand definieren. „Das ist bis heute nicht passiert“, kritisiert Marrufo.

Wie so oft haben die Behörden versagt oder machen gemeinsame Sache mit den Kriminellen. Nur so lässt sich erklären, warum die wenigsten Morde strafrechtlich verfolgt werden. Immer wieder präsentieren die Strafverfolger Unschuldige, die man durch Folter zu Geständnissen gezwungen hatte. Etwa Israel Arzate. Auch um ihn hat sich die Feministin gekümmert. Nachdem er im November freigesprochen wurde, begann eine Hetzkampagne gegen die Mesa de Mujeres. Als bekannt wurde, dass Marrufo den deutschen Frauenpreis erhält, entspannte sich die Lage. Ein großer Erfolg.

WOLF-DIETER VOGEL