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Hamburgs neue Mitte

Die Hamburger wenden sich wieder ihrem Fluss zu. Wer sich traut, in der Elbe zu baden, wird sie intensiv erleben, glaubt Hella Kemper. Aber Vorsicht vor Sog und Schwell!

VON JOHANNES HIMMELREICH

Dort, wo die Elbe noch vor wenigen Stunden stand, ist der Sand dunkel, nass. Beim Laufen drückt er sich kalt zwischen die Fußzehen. Es ist später Nachmittag am Elbufer in Blankenese. Ein Stück weiter, in Richtung des rot-weißen Leuchtturms, gurgelt das Wasser zwischen den Steinen. Ein Containerschiff fährt vorbei, Richtung Terminal-Hafen. Wind aus Westen weht über das Wasser. „Es ist Unruhe auf dem Fluss“, sagt Hella Kemper und schaut hinüber zum anderen Ufer. Die Elbe sieht heute grau aus, obwohl die Nachmittagssonne auf ihr schimmert.

Kemper kennt die Elbe – ihren Fluss, sie kann sie fühlen – Kemper ist Elbschwimmerin. „Es war immer meine Sehnsucht, an einem Fluss zu leben und in dem Fluss sein zu können“, sagt sie. Wasser ist ihr Element. Schon früh sei sie viel geschwommen, auch in Flüssen: in der kleinen Diemel in ihrer Heimat in Ostwestfalen, im Rhein. Doch die Elbe ist für sie etwas besonderes. Es ist die imposante Hafenatmosphäre, die Nähe der Nordsee, die sie spüren kann, „und vor allem die Tide, die den Fluss lebendig macht“. Kemper hat ihn sogar einmal durchquert. Einmal von Ufer zu Ufer. Ein anders Mal mit einem Ruderboot von der tschechisch-deutschen Grenze bis nach Otterndorf, fast bis an die Mündung. Ihre Leidenschaft mündete in ein Buch: „Elbschwimmer – Die Rückkehr einer Badekultur“.

Zeit für einen Selbstversuch: Der Wind bläst ungemütlich stark an diesem Nachmittag. Wir laufen über den nassen Sand, in Richtung Wasser. Vom Ufer aus beobachten uns neugierige Augen. Es ist kein Schiff auf dem Wasser, in kleinen Wellen hebt sich der Fluss auf und ab und spült über den Sand. Mit dem ersten Schritt in das Wasser zuckt Kälte durch mein Bein hoch – bis in den Rücken. „Ah!“, ruft Hella, „es ist wirklich abgekühlt seit Juni.“ Sie war schwanger und konnte während letzten Wochen nicht schwimmen gehen.

Langsam tasten wir uns vor – immer tiefer. Schon als mir das Wasser nur bis zu den Knien reicht, spüre ich die Strömung. Das Wasser ist etwas trüb, „aber das ist kein Dreck, das sind nur Trübstoffe“, sagt Hella. Also weiter rein, bis zum Bauchnabel. Vorstellungen, wie kalt es erst sein mag, wenn ich ganz drin bin, unterdrücke ich. Es scheint mir, als würde ich meinen Verstand für einen Moment ganz ausschalten und springe einfach, tauche kurz unter und bin drin. Nach wenigen schockartigen Bewegungen ist mir nicht mehr kalt. Ich bin schon viele Meter vom Ufer weg und stromabwärts getrieben.

Die Elbe ist gefährlich. „Man muss Respekt vor ihr haben“, mahnt meine Begleitung. Immer nah am Ufer bleiben und nur so weit raus schwimmen, dass man den Boden nicht unter den Füßen verliert. Außerdem müssen Elbschwimmer auf Schiffe aufpassen. Besonders die kleinen, schnellen Boote sind gefährlich: „Sog und Schwell“, heißt das Phänomen, wenn ein Boot vorbeifährt und sich das Wasser erst vom Ufer zurückzieht, um plötzlich mit einer ungeahnt großen Welle Badesachen weg zu spülen.

Eigentlich geht es Hella Kemper aber nicht ums Schwimmen. „Ob Sie in dem Fluss schwimmen gehen, ist mir egal“, sagte sie zu mir. Aber die Hamburger sollten sich wieder mehr ihres Flusses bewusst werden. Das Schwimmen sei dabei eine Möglichkeit, den Fluss intensiv zu erleben. Früher war die Elbe die Mitte Hamburgs. Es war ganz selbstverständlich, in der Elbe baden zu gehen. In ihrem Buch beschreibt sie die Badekultur von ihren Anfängen in Hamburg in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur ihrer Wiederentdeckung heute. „Sie war mal eine Dreckbrühe“, gibt sie zu. Doch nach der Wende wurde die Wasserqualität stetig besser. Strand-Bars, der so genannte Sprung über die Elbe, die Magellan-Terrassen oder Hausboote seinen Beleg dafür, dass die Hamburger sich wieder ihrem Fluss zuwenden.

Kemper hofft, dass dieses neue Bewusstsein auch in der Politik ankommt. „Die Frage ist: Baue ich Häuser und Mauern oder ermögliche ich einen Zugang ans Wasser?“ Natürlich müsse man sich gegen Hochwasser und Sturmflut schützen, aber „vielleicht reagiert die Stadtplanung und Architektur auf das neue, noch wachsende Bewusstsein“, hofft sie.

In ihrem Buch lässt sie Architekten bereits die Zukunft des Elbe-Badens ausmalen. Von einem kleinen schwimmenden Freibad bis zu einem aufgestauten Binnensee, dem „Playa Hamburgo“, zwischen Hafen-City, Veddel und Wilhelmsburg, gehen die Entwürfe.

Heute sind wir die einzigen im Wasser. Nach knapp zwei Minuten schwimmen wir wieder aufs Ufer zu. „Die Elbe ist mir heute fast ein bisschen fremd“, sagt Kemper. Ich renne wieder über den nassen Sand, zurück ins Handtuch. Ich hatte mir den folgenden Moment schon ausgemalt: Mit blauen Lippen und Fingernägeln und tauben Händen flüchte ich, um mich bei einem heißen Tee aufzuwärmen. Doch wieder in den Kleidern fühle ich mich warm und erfrischt.

„Elbschwimmer – Die Rückkehr einer Badekultur“ ist im Murmann-Verlag, Hamburg erschienen. Heute Abend liest die Autorin an Bord der D.E.S. Bergedorf in Övelgönne aus ihrem Buch. Beginn ist um 19 Uhr. Mehr Informationen unter: www.murmann-verlag.de

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