: Ein Deutscher auf Probe
Bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen sollte nur gewählt werden können, wer schon seit einem Jahr ein Deutscher ist. Weil das dem Grundgesetz widersprach, wurden jetzt in aller Eile die Gesetze geändert – wegen Onur Yamac aus Oldenburg
von Jan Zier
Onur Yamac ist im Rheinland geboren und aufgewachsen, war in seiner Jugend bei den Pfadfindern, und Ferienbetreuer beim Diakonischen Werk war er auch. Schon der Zieh-Opa hatte ein SPD-Parteibuch, ein Rheinländer auch er. Onur Yamac ist also ein mustergültig integrierter Deutscher, möchte man sagen, auch wenn der Name es vielleicht nicht vermuten lässt. Dennoch hätte der 25-Jährige in Oldenburg eigentlich nicht für die SPD kandidieren dürfen. Jedenfalls nicht am kommenden Sonntag. Obwohl er einen deutschen Pass hat.
„Zum Ratsherr ist wählbar“, so stand bis vor kurzem in Paragraph 35 Absatz 3 der Niedersächsischen Gemeindeordnung zu lesen, „wer am Wahltage seit mindestens einem Jahr Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist.“ Und genau das war Onur Yamac eben nicht. Am 14. Februar dieses Jahres erst hat er seinen türkischen Pass abgegeben und sich offiziell einbürgern lassen.
„Ich bin Volldeutscher“, sagt Yamac, der seit 2002 in Oldenburg Sozialwissenschaften studiert. Das sieht auch das Grundgesetz so. „Deutscher ist“, heißt es da in Artikel 116 ganz lapidar, „wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.“ Und die hat er unzweifelhaft, auch wenn er sich mit der Frage, ob er sich nun als Deutscher fühle – oder doch auch als Türke – „nicht mehr beschäftigen“ mag. Dank seiner deutschen Papiere jedenfalls, auch das schreibt die Verfassung vor, hat er „nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte“.
Doch genau der wurde ihm verwehrt, auch vom Wahlleiter in Oldenburg. „Sie hätten sich ja früher einbürgern lassen können“, soll der zum potentiellen Kandidaten gesagt haben.
Onur Yamac sieht das anders: „Ich habe das Recht, mich einbürgern zu lassen, wann ich das für richtig halte“, und schließlich könne so eine Einbürgerung gut und gerne bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen. „Ich plane doch mein Leben nicht für den Wahlleiter jahrelang im Voraus.“ Gegenüber der taz will sich das Oldenburger Wahlbüro nicht äußern. Wäre nichts passiert, Onur Yamacs Name wäre von der Kandidatenliste wieder gestrichen worden.
„Jetzt bin ich der einzige Kandidat in ganz Niedersachsen, wegen dem eigens ein Gesetz geändert werden musste“, sagt er stolz. Und spricht dabei ganz unverhohlen von der „Lex Onur“. Ein ganz kurzes „Gesetz zur Änderung des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts“, wie es offiziell heißt, vier Paragraphen lang, von der SPD-Fraktion am 15. März 2006 in den Landtag eingebracht.
„Eine nie da gewesene Hau-Ruck-Aktion“, sagt Yamac, auch wenn am Ende keine Fraktion etwas gegen eine „Lex Onur“ haben konnte. Schließlich passt sie die niedersächsischen Wahlgesetze nur an die Vorstellungen des Grundgesetzes an. Wer Deutscher ist, kann jetzt auch offiziell gewählt werden.
Die alte Regelung, sagt auch der Verwaltungsjurist und bremische SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Björn Tschöpe, „dürfte aus vielen Gründen verfassungswidrig sein“. In der Oldenburger SPD hat man es bei der Auswahl der KandidatInnen für den Stadtrat nicht so genau genommen. „Streng genommen war meine Aufstellung illegal“, sagt Yamac, deswegen durfte er auch nicht mit über die Kandidatenliste abstimmen. „Dann wäre die ganze Liste illegal gewesen. Und zu illegal darf es in der Politik dann doch nicht sein.“ Stattdessen drohte er mit Klage, die Fußball-Weltmeisterschaft stand vor der Türe – da ging am Ende alles ganz schnell mit der Gesetzesänderung.
Heute findet sich Onur Yamac, ganz ordnungsgemäß, auf Listenplatz sechs der Sozialdemokraten wieder. Wie ein sicherer Ratsherr zu Oldenburg sieht man da nicht aus, nur auf den Plätzen eins bis vier gilt ein Einzug ins Rathaus als unzweifelhaft. Der Rest bleibt dem Kumulieren – dem Häufeln von Stimmen – und Panaschieren anheim gestellt, also der Verteilung der Kreuzchen auf mehrere Parteilisten. Die Niedersachsen dürfen das, im Gegensatz beispielsweise zu den BremerInnen.
Da kann man als KandidatIn, je nach Bekanntheitsgrad, schnell nach oben oder unten gewählt werden. Und so läuft sich auch Onur Yamac gerade die Füße wund, verteilt in diesen Tagen 6.500 Flyer und 2.000 Aufkleber in der Stadt. Eine echte Ochsentour, wie er findet. Aber Onur Yamac ist ja auch ein Sozialdemokrat. Und für eine gute Demokratie kann man sich zumindest die Hacken wund laufen.