: An House glauben
Den Sonntagmorgen in der Panorama Bar beschallen, Tracks produzieren, Mixe veröffentlichen, ein Label betreiben: Cassy Britton reizt begeistert aus, was man mit Platten so treiben kann. Ein Porträt
VON JAN KEDVES
Tagsüber als Verkäuferin im Kreuzberger Plattenladen Hard Wax, nachts als DJ hinter der schwebenden Mixkonsole der Panorama Bar: Cassy ist rund um die Uhr als Musikvermittlerin im Einsatz. Will man Cassy zum Gespräch treffen, holt man sie am besten nach Dienstschluss bei Hard Wax ab. Sie lädt dann in ein Café um die Ecke und klemmt sich auf dem Weg die neueste De:Bug unter den Arm. In der steht – wie überall auch hier des Lobes voll –, dass Cassy auf ihrer gerade veröffentlichten Mix-CD „Panorama Bar 01“ die „Berliner Minimal-Schule“ repräsentiere.
„Was soll denn das heißen?“, lacht sie mit gespielter Empörung und schüttelt den Kopf, dass die Locken fliegen. Es ist nun mal vertrackt mit diesen Kategorien. Cassy, bürgerlich Catherine Britton, sieht es so: Sie spielt House. Da House allerdings ein außergewöhnlich dehnbarer Begriff ist, müsste man die Spielart, die sie kultiviert, vielleicht eher „Panorama-Bar-House“ nennen. Ein Sound jedenfalls, der trotz forschen Tempos mit leichtem Fuß unterwegs ist und in dem sich Spuren von Soul und Disco finden, allerdings in homöopathischen Dosen. Viel Wissen um die Ökonomie des Weglassens steckt in dieser Musik.
In der Panorama Bar liebt man Cassy dafür. Ihre Schichten in dem Club, dessen Ruf als Garten Eden des niemals endenden Beats bis in die hintersten Ecken der Welt gedrungen ist, beginnen meist am frühen Sonntagmorgen, zu bester Kirchgangszeit. Die Gehirne der Tänzer sind dann schon kuschelweich gespült und das Zischen einer einzelnen HiHat kann den Laden eine Viertelstunde lang Kopf stehen lassen. Cassy erscheint meist ausgeschlafen an ihrem Arbeitsplatz. Sich auf dem Weg zu den Decks frisch geduscht an aufgeputschten Muskelmassen vorbeizuquetschen stört sie gar nicht. Im Gegenteil: Sie sagt, dass sie den in der Panorama Bar gemeinsam zelebrierten Glauben, dass House und Techno noch „etwas richtig Tolles“ sind, genießt.
Dass sie hier einmal die Regler in der Hand halten würde, hätte sie sich früher nicht träumen lassen: Mit 17, 18 wollte sie mal Opernsängerin werden. Damals lebte sie noch in Wien und hatte mit Tanzmusik nichts am Hut. Als sie die Aufnahmeprüfung nicht bestand, ging sie erst mal nach London, um dort drei Jahre lang Schauspiel zu studieren. Danach merkte sie, dass sie als „nicht ganz Weiße“ – ihr Vater stammt aus Barbados, sie selbst hat einen britischen Pass – in ihrer Rollenauswahl doch stark eingeschränkt war. In der DJ- und Party-Szene schien ihr das anders. Und völlig umsonst war das Studium auch nicht: „Wenn man als DJ bekannter wird und die Leute einen immer mehr anstarren, muss man auch schauspielern können.“
In Berlin lebt sie seit drei Jahren. Eine Zeit, die einem bedeutend länger vorkommen kann, so flink hat sich Cassy in der Stadt auch als Studiopartnerin von Minimal-Techno-Größen wie Steve Bug, Luciano oder Ricardo Villalobos sowie als eigenständige Produzentin installiert. Kein Grund also, unruhig zu werden, wenn in den USA gerade eine gewisse Cassie, eine R-'n'-B-Prinzessin mit weit mehr Pin-up- als Gesangstalent, in den Billboard-Charts reüssiert. „Da müsste ich ja schon sehr viel falsch machen, damit sich unsere Wege irgendwann mal kreuzen“, schmunzelt Cassy.
Pin-up, dieses Stichwort muss nun allerdings auch bei ihr fallen, neuerdings jedenfalls: Auf „Panorama Bar 01“ reizt Cassy nämlich nicht nur fast auf die Sekunde genau die 74 Spielminuten der CD und die Grenzen des Genres House aus, sondern sogar die Hülle – indem sie sich über die gesamte Breite des zum Triptychon ausklappbaren Covers streckt. Nackt. „Körperlich“ und „sinnlich“ seien immerhin auch Attribute ihrer Musik, erklärt sie. Und schiebt schmunzelnd hinterher: „Außerdem ist das das genaue Gegenteil von dem, was man eigentlich machen sollte. Das hat mich gereizt.“
Und trotz aller überraschender Blöße schafft Cassy mit ihrem Cover auch noch den Brückenschlag zur alten, vor allem im Hard Wax-Umfeld hochgehaltenen Überzeugung, dass Techno keine Gesichter braucht: Auf dem Foto verschwindet ihr Kopf vollständig unter ihrer Lockenmähne. Nicht zuletzt eine Verbeugung vor den zahlreichen anonymen Produzenten, die sie unter, wie sie sagt, „Tantalusqualen“ für den Mix ausgewählt hat: DBX, NSI, V/A, D5, Ø – viele dieser Namen gelten im Paralleluniversum House und Techno längst als Klassiker.
Ein Status, an dem Cassy mit ihren eigenen Produktionen auch arbeitet. Vor einigen Jahren begann sie zunächst damit, im Studio anderer Produzenten als Sängerin zu gastieren. Mittlerweile produziert sie selbst – und findet Lieder im Club „anstrengend“. So sind ihre Tracks denn auch dann am schönsten, wenn sie auf die Strophe-Refrain-Tradition pfeift und mit ihrer Stimme als Effekt experimentiert. Wie auf „Alexandra“, einem verspulten After-Hour-Hit, wie geschaffen für die Panorama Bar und erst gerade auf „Cassy“, ihrem eigenen Label, erschienen. Das hat sie einfach so gegründet, ohne jegliche Welteroberungspläne.
Obowohl sie DJ, Sängerin, Produzentin und Labelmacherin in einem ist: Sich zum Star hochzustilisieren, das käme ihr nicht in den Sinn. Sie hat bislang auch nicht vor, live zu ihren DJ-Sets zu singen, so wie das etwa ihre prominente Kollegin Miss Kittin tut. „Ich muss mich beim Auflegen nicht noch interessanter machen“, betont Cassy. „Ich spiele die Musik von anderen Menschen, und die ist verdammt gut so. Da muss nicht noch mein Senf dazu.“
„Panorama Bar 01: Cassy“ (Ostgut Ton/Kompakt); www.cassybritton.com