: Kollateralschaden
Mit dem Zweiteiler „Auf ewig und einen Tag“ (20.40 Uhr und 22.10 Uhr, Arte) wagt sich erstmals ein deutscher TV-Film an den 11. September 2001. Viel mehr als Kulisse sind die Anschläge jedoch nicht
Von Stefan Reinecke
Die Filmindustrie hat lange gezögert, den 11. September 2001 als Stoff zu benutzen. Das mag mit der heftigen Vermischung von Fiktion und Realität zu tun haben, die am 11. 9. geschah. Jedes Filmbild über 9/11 konkurriert mit den TV-Echtzeitbildern, die damals viele spontan für einen Katastrophenfilm hielten. Jede Bildererzählung über 9/11 fiktionalisiert ein Geschehen, das wir im ersten Schrecken in die Erzählcodes unserer populären Bilderkultur übersetzten. Ob bewusst oder nicht, reflektiert jeder 9/11-Fernsehfilm auch das eigenen Medium, das nie so präsent war wie an jenem Vormittag. Und natürlich läuft jede 9/11-Fiktion Gefahr, die Bilder der einstürzenden brennenden Türme parasitär zu benutzen, um sich mit Bedeutung aufzupumpen.
„Auf ewig und einen Tag“ ist der erste aufwändige Versuch, den 11. 9. im deutschen TV-Film zu verarbeiten. Der Plot geht so: Am Morgen des 11. September hat der Geschäftsmann Gregor (Fritz Karl) einen Termin in den Twin Towers. Scheiben splittern, Rauchschwaden ziehen, es kracht ziemlich fernsehspielstudiomäßig – der Versuch, fiktional die Katastrophe anschaulich zu machen, scheitert schon in den ersten Szenen vollständig. Der Held Gregor verschwindet spurlos. In München wird sein Freund Jan (Heino Ferch), der eigentlich an seiner Stelle in den Twin Towers hätte sein sollen, von Schuldgefühlen heimgesucht. Immer wieder starrt er auf das (echte) TV-Bild eines Mannes, der in den Tod springt und der vielleicht Gregor ist. So soll die Fiktion mit dem Pathos des Wirklichen aufgeladen werden.
9/11 ist ein Zeichen, ein Anlass, um, in durchaus geschickten Rückblenden, ein Melodrama zu erzählen, eine über zwei Jahrzehnte währende Dreiecksgeschichte zwischen Jan, Gregor und Elsa (Claudia Michelsen). „Auf ewig und einen Tag“ entwirft ganz unbescheiden eine Art bundesrepublikanischen Generationenromans der Post-68er. Eigentlich ist das ein Stoff, der in den Händen von Regisseur Markus Imboden gut aufgehoben ist. Mit Filmen wie dem Politdrama „Spiele der Macht – Berlin 11011“ oder dem Brigitte-Reimann-Biopic „Hunger auf Leben“ hat er ein feines Gespür für Zeitgeschichtliches bewiesen. Doch diesmal hat ihm Drehbuchautor Christian Jeltsch den dramaturgischen Bogen zu weit gespannt – es kommt einfach alles vor.
Jan ist der soziale Aufsteiger, der den bundesrepublikanischen Traum verkörpert, es von ganz unten nach ganz oben zu schaffen. Gregor ist der prototypische Rebell, ein junger, zorniger, neurotischer Mann aus dem Bilderbuch, der in den 70ern eine Revolte gegen seinen Kapitalistenvater (Henry Hübchen) anzettelt. Man sieht erste Küsse und Eifersucht, Saufgelage im Partykeller und Pubertätsträume von der großen weiten Welt.
Mehr als Zeitkolorit ist das allerdings nicht. Ausgestellt wird das übliche Repertoire von Revoltezeichen. Erst hört man Supertramp, später wird Punkkleidung getragen. In den 90ern versuchen die beiden Helden an der Wall Street ihr Glück. Die Karriere klappt, doch dabei gehen die Ideale und die Freundschaft zu Bruch. Liebe und Verrat, Glück und Absturz, nichts fehlt. Der bundesdeutsche Familienroman und die ödipale Revolte von 68 ff. werden dabei auf das Niveau von Courths-Mahler-Geschichtchen heruntergedimmt. Weil der Vater den Sohn Gregor nicht akzeptieren kann, muss dieser „Ami go home“ in großen Lettern auf die Wohnzimmerscheibe der neureichen Villa pinseln und vor der Fabrik des Papas demonstrieren. Störend an diesem Zweiteiler ist, dass nichts verstört. Kein Konflikt bleibt ungelöst, alles im Rahmen des Erwartbaren. Das gilt auch für die Schauspieler. Heino Ferch ist bullig, Martina Gedeck (als Jans Frau) romantisch verhuscht, Henry Hübchen demonstrativ kaputt.
9/11 ist dabei in erster Linie Kulisse. „Auf ewig und einen Tag“ könnte auch mit einem Lawinenunglück in Oberösterreich oder einem Busunfall in der Pfalz beginnen. Aber das würde, schon visuell, nicht so viel hermachen. 9/11 ist allerdings mehr als ein bloßer Eyecatcher – was die Sache nicht besser macht, im Gegenteil. Der Augenblick, in dem die Twin Tower zusammenstürzen, ist ein kathartischer Moment für die Helden, der Wendepunkt der Erzählung. Gregor nutzt die Chance, um sich in einen anonymen Niemand zu verwandeln und aus dem trostlosen ödipalen Spiel auszusteigen. Und Elsa, die kühle, professionelle TV-Nachrichtensprecherin, beweint vor laufender Kamera den vermuteten Tod ihres Gehassliebten. Später verachtet sie sich für diese Tränen, die ihr einen besser dotierten Vertrag eingebracht haben.
Das ist ein selbstreflexiver Purzelbaum. Eine TV-Sprecherin sinnt in einem TV-Spielfilm über die TV-Bilder von 9/11 nach. Und es ist noch mehr. Die Bilder von 9/11 werden zum moralischen Menetekel, zu einem Moment der wahren Empfindung, der deutschen thirtysomethings auf ihrer Suche nach Sinn und Wahrhaftigkeit auf die Sprünge hilft. „Auf ewig und einen Tag“ scheint uns die 9/11-Bilder noch mal ganz nah vor Augen zu rücken. Immer wieder starrt Jan auf den Bildschirm, auf dem sein Freund in den Tod zu springen scheint. So wie wir damals, als niemand den Blick von der Endlosschleife der Nachrichtenbilder abwenden konnte.
Doch in Wahrheit markiert der Film das Gegenteil: nicht Nähe, sondern Distanz. Er zeigt, wie fern diese Bilder schon sind. Sie sind so leer und abstrakt, dass sie als beliebiges Krisenmotiv in TV-Erzählungen verwendbar sind.
Das ZDF zeigt die Wiederholung am 11. 9. und 13. 9. jeweils um 20.15 Uhr