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Archiv-Artikel

Schaltet euren Kopf ein!

AUFRUF Alles wird anders sein, wenn die Krim ein Teil Russlands wird. Eine junge Frau aus Kiew appelliert an die Bewohner der Krim

Ihr, die ihr Nachbarn seid von Krimtataren, ihr wisst doch ganz genau, dass die Variante „Krim-Russland“ euren Nachbarn nicht gefällt. Die Perspektive, dass die Krim innerlich zerfällt, macht euch keine Angst?

Am 16. März wird sich die Krim entscheiden müssen, zu wem sie in Zukunft gehören möchte, zu Russland oder der Ukraine. Russland ist gerade eifrig damit beschäftigt, seine Gesetze zu verändern, um die Krim aufnehmen zu können.

Ich möchte am liebsten nur schreien! Meine lieben Krimbewohner, schaltet doch endlich euren Kopf ein! Benutzt ihn nicht nur zum Essen, sondern denkt nach!

„Wir wollen nach Russland“ – das klingt schön. Russische Abgeordnete kommen auf die Krim und erzählen davon, wie toll alles in Zukunft sein wird. Putin verspricht im Fernsehen, Finanzspritzen geben zu wollen. „Sewastopol – Stadt der russischen Matrosen“, das klingt stolz. Meine lieben Krimbewohner, bitte denkt über Folgendes nach.

Vor euren Augen geschieht momentan ein Verbrechen gegen euch alle. Ich werde nicht von der Legitimität oder Illegitimität der neuen Regierung auf der Krim sprechen, die entgegen allen geltenden Gesetzen aufgestellt worden ist. Ich werde mir nicht die Frage stellen, ob der Bürgermeister der Krim rechtmäßig gewählt wurde und ob ihr bei den Wahlen dabei wart (dabei hättet ihr laut Gesetz anwesend sein müssen).

Ich werde hier von anderen Sachen sprechen.

In einer Woche wird sich die Krim Russland anschließen. Das ist schön, das ist wundervoll. Aber was bedeutet es für den Einzelnen?

Meine lieben Freunde auf der Krim, bald wird die Grenze zwischen euch und euren Kindern verlaufen, die in Kiew, Charkiw oder Dnipropetrowsk studieren. Bald könnt ihr sie nicht mehr günstig mit dem inländischen Telefontarif „Meine Familie“ erreichen. Ihr müsst dann schon ins Ausland anrufen. Ist euch das klar?

Und Sie, liebe Rentnerin, Sie werden demnächst nicht mehr so einfach Geld von Ihren Kindern aus Kiew erhalten. Noch können Ihre Kinder Ihnen Geld aufs ukrainische Konto überweisen, bald ist das unmöglich. Sind Sie wirklich bereit dazu?

Ihr Händler, die ihr nach Odessa fahrt, um dort billig Klamotten einzukaufen und um sie dann auf der Krim weiterzuverkaufen – bald ist es aus mit solchen Fahrten. Bald gibt es eine Grenze, einen Zoll, Steuern.

Ihr Kleinhändler, die ihr nach Kiew, Charkiw und Lwiw fahrt und dort Lebensmittel, Kosmetik und alles andere einkauft, was wichtig ist für euer kleines Business – seid ihr euch dessen bewusst, dass ihr bald Zollgebühren bezahlen müsst?

Und ihr, die ihr daran gewöhnt seid, täglich Wasser aus dem Hahn zu trinken, wisst ihr eigentlich, woher euer Wasser kommt? Darf ich euch daran erinnern? Aus dem Dneprowskij-Kanal in der Ukraine. Und woher die Elektrizität kommt, wisst ihr auch? Ich kann es euch sagen, zum größten Teil aus dem Gebiet Nikolajewsk. Versteht ihr, wie viel das alles kosten würde, wenn nicht der Heimatstaat euch Wasser und Elektrizität liefert, sondern ein ausländischer Staat?

Könnt ihr zählen?

Oder ihr, die ihr mit Touristen euer Geld verdient. Wisst ihr, dass eure Gäste demnächst zwei bis drei Grenzen passieren müssen, um auf die Krim zu kommen, und dass die Krim in nächster Zukunft generell nicht der beste Ort für einen Urlaub sein wird?

Wisst Ihr, dass das Wasser, mit dem ihr den Swimmingpool neben eurem kleinen Hotel auffüllt, bald Gold wert ist? Dass die Lebensmittel, mit denen ihr eure Touristen versorgt, entweder über die Grenze oder per Schiff geliefert werden müssen? Ist euch das wirklich klar?

Ihr, die ihr Geschenke und Einkäufe bequem übers Internet bestellt, könnt bald nicht mehr die „Neue Post“ benutzen – sie liefert nur innerhalb der Ukraine. Ihr wisst Bescheid, oder?

Und ihr, die ihr Nachbarn seid von Krimtataren, ihr wisst doch ganz genau, dass die Variante „Krim-Russland“ euren Nachbarn nicht gefällt. Ihr seid doch keine Idioten und ihr könnt die Zukunftsperspektive sehen – und die Perspektive, dass die Krim innerlich zerfällt und unstabil ist, macht sie euch keine Angst?

Oder ihr Mütter, deren Söhne bald 18 werden. Ihr seid euch doch darüber im Klaren, dass eure Söhne bald der russischen Armee dienen müssen. Und ihr wisst genau, was das bedeutet, oder?

Ihr könnt jetzt einfach antworten: „Wir denken darüber nach, wir können beim Referendum ja auch gegen den Anschluss an Russland stimmen.“ Aber ihr müsst sehr, sehr gut nachdenken, denn nichts hängt mehr von euch ab – wie ihr abstimmt, wohin ihr euer Kreuzchen setzt. Das Ergebnis des Referendums steht bereits fest, es wurde für euch gestimmt. Putin braucht die Krim und nicht euren Willen, belügt euch nicht selbst.

Ich verstehe, dass es auf der Krim geisteskranke Idioten gibt, die nicht zu bremsen sind und für die die Variante „Krim-Russland“ die einzig mögliche ist. Ich kenne einige davon sogar persönlich. Ich kann und will aber nicht glauben, dass du selbst einer dieser geisteskranken Idioten bist. Dass du bereit bist zum Schlimmsten. Dass du daran glaubst, dass Verbindungen, die seit Jahrzehnten bestehen, friedlich aufgelöst werden können.

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich mit dir machen soll.

Ich möchte nur, dass du verstehst, was gerade mit jedem Einzelnen auf der Krim geschieht, und mit dir persönlich.

IRINA KOROTYCH

Aus dem Russischen von Ljuba Naminova