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Archiv-Artikel

Polizei offenbar in Entführung verwickelt

THAILAND Im März 2004 wurde der prominente Muslimanwalt Somchai Neelapaijit auf offener Straße entführt. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Seine Familie kämpft gegen die Gleichgültigkeit

AUS BANGKOK NICOLA GLASS

„Ich habe nie die Hoffnung verloren, dass Somchais Verschwinden aufgeklärt wird, aber im Lauf der Jahre sind meine Hoffnungen geringer geworden“, sagt seine Frau Angkhana Neelapaijit. Den Kampf aufzugeben kommt für sie nicht infrage, zumal sie weiß, dass ihre Familie kein Einzelfall ist. „Viele Angehörige haben Angst, Aufklärung zu fordern, weil sie bedroht werden. Manche werden bezahlt, damit sie den Mund halten.“ Nach zehn Jahren mit wechselnden Regierungen unter sechs verschiedenen Premierministern in Thailand bleibt der Fall Somchai Neelapaijit weiter im Dunkeln.

Der prominente Muslimanwalt war am 12. März 2004 in Bangkok verschleppt worden, die Entführer entpuppten sich als Polizeibeamte. Der damals 53-Jährige verschwand während der Amtszeit von Thaksin Shinawatra, der 2006 als Premier vom Militär gestürzt wurde. Thaksin hatte 2004 das Kriegsrecht über drei mehrheitlich muslimische Südprovinzen verhängt, nachdem mutmaßliche Rebellen ein Armeelager gestürmt hatten. Somchai Neelapaijit hatte Muslime verteidigt, denen man vorwarf, mit Separatisten unter einer Decke zu stecken. Kurz vor seiner Entführung hatte er angeprangert, dass einige seiner Klienten in Polizeigewahrsam gefoltert worden waren. Auch hatte er die Thaksin-Regierung aufgefordert, das Kriegsrecht im Süden aufzuheben.

Wie tief der Staat in die Sache verstrickt ist, zeigten die schlampigen, halbherzigen Ermittlungen. Weder wurden Haarproben noch Fingerabdrücke in Somchais Wagen hinreichend analysiert, kritisiert Sam Zarifi, Asien-Pazifik-Chef der Internationalen Juristenkommission. Telefonate zwischen den Entführern sowie Anrufe bei Polizeistationen und dem Büro des Premiers wurden als Beweise verworfen. Zwar wurde fünf Polizeibeamten, denen man eine Beteiligung an der Verschleppung Somchais vorwarf, der Prozess gemacht, doch die Vorwürfe lauteten nur auf Raub und Nötigung.

Im Januar 2006 wurden vier von ihnen mangels Beweisen freigesprochen. Nur der Major, der Somchai in einen Wagen gezerrt hatte, wurde wegen Nötigung zu drei Jahren Haft verurteilt. Nach Berufung kam er gegen Kaution auf freien Fuß. Offiziell gilt er als nach einem Erdrutsch vermisst. Kritiker vermuten, dass er sich abgesetzt hat. Nur einen Tag nach der Gerichtsverhandlung hatte Thaksin Shinawatra erklärt: „Ich weiß, dass Somchai tot ist und dass mehr als vier Repräsentanten offizieller Stellen darin verwickelt sind.“

Der von Ende 2008 bis Mitte 2011 amtierende Premier Abhisit Vejjajiva, heute Kopf der oppositionellen Demokratischen Partei, hatte angekündigt, die Ermittlungen neu aufrollen zu lassen. Doch auch diesmal geschah nichts. Ein hoher Polizeibeamter wurde mit den verblüffend offenen Worten zitiert: „Die Verstrickung der Polizei in diesen Fall hat die Untersuchungen blockiert.“ Weiter heißt es: „Zuallererst müssen wir Somchais Leiche finden.“ Genau das aber ist nach Jahren manipulierter Ermittlungen das Problem. Niemand sei für die Verschleppung Somchais zur Rechenschaft gezogen worden, kritisiert Angkhana Neelapaijit: „Diese Kultur der Straflosigkeit muss aufhören.“