Pop und Linkssein in eins setzen

NACHRUF Martin Büsser, Musikkritiker und Mitbegründer des Magazins „testcard“, ist gestorben

„Popmusik ist aus dem zeitlichen Kontext heraus verstehbar, und wie jede Kunstform ist sie vom lokalen und sozialen Umfeld beeinflusst“, schrieb Martin Büsser in dem Reader „Popmusik“, den er 2000 im Hamburger Rotbuch Verlag veröffentlichte. Für ein besseres Verständnis lokaler Szenen warb Büsser unermüdlich. Er veröffentlichte tausende Rezensionen und verfasste zahlreiche Bücher zu Popthemen. Lange bevor sich das Feuilleton Adam Green als Teenidol auserkoren hatte, begleitete er dessen Hervorbringungen und die anderer Adepten der New Yorker Antifolkszene mit Texten, Büsser erfreute sich ihrer unkommerziellen Musik genauso wie ihrer sexuell und politisch freizügigen Lyrics und Inszenierungen.

Ende der Neunziger war das, als es in den USA einen kulturkonservativen Backlash gegeben hatte. Auch der damals hierzulande herrschende Poppluralismus kam Büsser fad vor. In der Bundesrepublik gab es im Popdiskurs zwischen Spex und dem bürgerlichen Feuilleton wenig Platz für abweichende Meinungen. Abseits des Mainstreams, aber auch abseits des Ameisendaseins im Underground fehlten Publikationsmöglichkeiten und kritische Stimmen oder auch nur Leute, die einen dritten Weg einschlagen wollten.

Unverbesserlich in seinem Idealismus gründete Büsser 1995 mit anderen das Magazin testcard und schuf mit dem Mainzer Ventil Verlag eine Plattform für die heftigen, teils akademisch geprägten Auseinandersetzungen über Popmusik innerhalb der Linken. Zudem schrieb er Zeile um Zeile für Intro, aber auch für konkret, die Jungle World, die Schweizer WoZ. Zuletzt rezensierte er dort Anfang September ein Buch, das sich mit der fehlenden queeren Aufklärung in der Jugendzeitschrift Bravo beschäftigt. Büsser sah sich als Verwalter eines Erbes, das Pop und Linkssein in eins setzte, wobei sein Linkssein selten zur selbstbequemen Haltung gerann.

In Mainz hatte er Komparatistik und Kunstgeschichte studiert. Sozialisiert wurde der 1968 Geborene aber in der süddeutschen Punkszene. Sein Geld verdiente Büsser lange Jahre im Lager eines Schallplattenversands. Man merkte ihm an, dass er sich ständig entlang der Grenzen des Dogmatismus bewegte. Pop war ihm eine ernste, bisweilen auch humorlose Angelegenheit. Affirmative Gesten, schillernde Oberflächen und die bizarren Schlingerkurse des Partyhedonismus waren Martin Büsser verdächtig.

Am Donnerstag ist er im Alter von 42 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben.

JULIAN WEBER