: Symbiose gelungen
SELBSTBILD Schreiben ist Suche nach Zuneigung: Rafael Seligmann stellte seine Autobiografie vor
„Jeder, der schreibt, sucht Zuneigung“, sagt Rafael Seligmann und lächelt Maybrit Illner an. Dann beugt er sich leicht nach vorn, öffnet ein wenig die Arme und schaut einladend in den übersichtlichen Kreis seiner Zuhörer im Berliner Haus der Commerzbank, als wolle er seinem Satz zurückhaltend, aber bestimmt Nachdruck verleihen. Die beiden Journalisten haben bei der Buchvorstellung publikumswirksam geplaudert über Seligmanns Autobiografie „Deutschland wird dir gefallen“.
Der Titel greift die Worte seines Vaters auf, der den kleinen „Rafi“ über den Umzug von Israel nach München hinwegtrösten wollte. Seine Mutter will bleiben und nicht zurück ins „Nazi-Land“; der Vater hofft durch die Heimkehr nach Bayern auf ein geregeltes Auskommen und setzt sich durch. Beide Eltern waren Jahrzehnte zuvor, rechtzeitig vor dem Holocaust, nach Palästina geflüchtet.
Für Rafael Seligmann beginnt damit im August 1957 im Alter von 9 Jahren seine eigene „deutsch-jüdische“ Geschichte – ein Leben im Spannungsfeld von zwei Kulturen. Seligmann wird mit 62 Jahren, an Heinrich Heine anknüpfend, sagen, Germania sei „ein hysterisches Weib“ und die Juden seien ein „hysterisches Volk“, ihm sei daher als Person eine Art „Symbiose“ gelungen. Er habe zu Deutschland „gefunden“, ergänzt er gegenüber Maybrit Illner. Dass somit Motive einer fortwährenden Suche nach Zuneigung – die des Schreibenden ebenso wie die des Liebenden – und der Identitätsfindung seine Autobiografie dominieren, ist keine Überraschung.
Seligmann bekommt anfangs die „Strenge“ der deutschen Pädagogen ebenso zu spüren wie die Abneigung der Mitschüler. Doch ein ausgeprägtes komödiantisches Talent hilft schnell weiter. Trotz guter schulischer Leistungen ist nach der Mittleren Reife erst mal Schluss. Seligmann macht auf Drängen seiner „Mamme“, die zuvor die Einberufung zur israelischen Armee verhindert hatte, eine Lehre als Fernsehtechniker und holt parallel zur Ausbildung das Abitur nach. Er studiert Politikwissenschaft und Geschichte in München und reist während der Promotion, in der er sich mit „Israels Sicherheitspolitik“ beschäftigt, zur Recherche ins „Gelobte Land“.
Gespräche mit Politikern und Generälen werden zur entscheidenden Grundlage der Doktorarbeit, gerade um ein tieferes Verständnis der realen Sicherheitslage Israels zu erlangen. Aus dem Historiker Seligmann wird schleichend ein pragmatischer Journalist, der den eigenen Standpunkt verteidigen lernt: Schimon Peres schmeißt ihn infolgedessen wegen allzu kritischer Nachfragen aus dem Büro.
Seligmann beschreibt sich als „Wissenschaftstourist“ und sagt im Hinblick auf die sozialen wie politischen Lebensbedingungen Ende der Siebziger Jahre: „In Israel war ich mit der ungeschminkten Wirklichkeit eines Pionierstaates mit ungewisser Zukunft konfrontiert worden. Ich bewunderte die Nüchternheit und Tatkraft der Israelis. Doch gleichzeitig wurde mir deutlich, dass ich ebenso wie mein Vater der Härte des Lebens in Zion nicht gewachsen war.“
Zurück in Deutschland, arbeitet Seligmann erst – und bis heute – als Journalist, unter anderem für die Welt, den Spiegel, die Bild und seit 2004 als leitender Redakteur bei der englischsprachigen Monatszeitung The Atlantic Times. Als er in den Achtzigern Romane zu schreiben beginnt, werden deutsch-jüdische Beziehungen und Biografien das zentrale Thema, auch deshalb, weil er dort eine Lücke in den Buchhandlungen klaffen sieht. Er debütiert 1988 mit „Rubinsteins Versteigerung“. Zuletzt erschien 2008 bei Hoffmann und Campe die Erzählung „Revier im Wandel“.
Die Autobiografie „Deutschland wird dir gefallen“ hat eher der Journalist Rafael Seligmann geschrieben, denn literarisch geschliffen ist das Buch nicht. Menschlich packend scheint da als Urteil treffender. Der Lebensweg des Autors ist, bei aller Rückschau, gegenwartsorientiert aufgeschrieben, versöhnlich und sehr privat insofern, als fast jedes amouröse Abenteuer ausführlich gewürdigt scheint. „Wenn man sich selbst mag, mögen einen auch die Frauen“, sagt Rafael Seligmann spitzbübisch zu Maybrit Illner. JAN SCHEPER
■ Rafael Seligmann: „Deutschland wird dir gefallen“. Aufbau-Verlag, Berlin 2010, 461 Seiten, 22,95 Euro