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Archiv-Artikel

Schreiben ist nicht Leben – es ist dessen Gegenteil

Nebenstelle (14): Vom Leben und Schreiben in der norddeutschen Provinz. Der Schriftsteller Akos Doma lebt als Stipendiat in Lauenburg. Das Leben in der Provinz ist für ihn nur einer der vielen Rückzüge als Schriftsteller: Aus der Stadt, aus der Medienwelt – und aus dem Tag

Wo man bei Cechov in der Hoffnung auf das wirkliche Leben nach Moskau rief, rufen und ziehen deutsche SchriftstellerInnen heutzutage in lemminghafter Einhelligkeit nach Berlin. Hieß es nicht einmal: Die Erneuerung kommt von den Rändern? Für die taz nord schreiben SchriftstellerInnen aus der norddeutschen Provinz, was das Wohnen fernab der Metropolen für ihr Schreiben und Leben bedeutet.

Wo ein Schriftsteller wohnt, ist egal, er bewohnt ja doch die seltsamen Gefilde seiner Phantasie. Schriftsteller sind die geborenen Bewohner von Parallelwelten. Sie dürfen das, sie müssen keinen Sprachunterricht oder Integrationskurs befürchten. Aber wie alle anderen müssen auch sie sich irgendwo körperlich aufhalten; manche bevorzugen die Metropolen, andere die Provinz oder die Kleinstadt.

Der Großstadttyp schlechthin war Dostojewski. Abgesehen von einigen unfreiwilligen Jahren in Sibirien sowie einigen ebenfalls mehr oder weniger erzwungenen Auslandsreisen lebte er in der gärenden Metropole Petersburg und fand dort seine Romanstoffe. Vergeblich sucht man in seinen großen Romanen nach einem Durchzug frischer Landluft, nach einer Natur- oder Landschaftsschilderung, wie sie etwa sein Zeitgenosse Turgenjew so meisterhaft beherrscht. Peter Handke und Milan Kundera bevorzugen das Leben in oder im Umkreis der Metropole Paris, Péter Nádas hingegen zieht der Großstadt Budapest die winzige Siedlung Gombosszeg im entlegensten Hinterland Ungarns vor. Ist das Werk Handkes und Kunderas deshalb urbaner, Nádas‘ provinzieller? Keineswegs. Sie alle bewohnen ihre je eigenen Parallelwelten. Wo sie realiter frühstücken und zum Friseur gehen, ist für die Literatur ziemlich egal.

Als ich das Literaturstipendium in Lauenburg erhielt, machte man sich hier Gedanken, dass ich mich in der Kleinstadt langweilen könnte. In Wahrheit war ich als langjähriger Bewohner Eichstätts im pittoresken Altmühltal, dort wo andere Urlaub machen, längst selbst zu einem Provinzler geworden. Obwohl ich ursprünglich gerade auch deshalb nach Eichstätt gezogen war, um von dort möglichst schnell wieder fortzukommen, denn ich wusste, dass die Universität besonders gute Möglichkeiten bot, für ein Jahr ins Ausland zu wechseln. Ich tat das, das Ausland flog spurlos an mir vorbei, Eichstätt blieb. Und nun bin ich in Lauenburg und wäre an keinem Ort der Welt lieber.

Wie die meisten Schriftsteller bin auch ich auf der Flucht. So unerlässlich die Beobachtung der Welt für das Schreiben auch ist, so unerlässlich ist es auch, dass sich der Schreibende für die Zeit des kreativen Prozesses möglichst bequem in seiner Parallelwelt einrichten, vor der so genannten Wirklichkeit in ihrer gerade heute penetrant aufdringlichen, zerstreuenden und vereinnahmenden Ausprägung Reißaus nehmen kann. Wer das nicht tut, wer dem Medienhype erliegt, hat schon verloren. Wer erinnert sich noch an die Popliteraten mit ihren lästigen Doppelnamen und dumm-dreisten Aneinanderreihungen von Markennamen und Modeschnickschnack? Viel schwieriger als die Flucht aus der virtuellen Medienwelt, die uns zu Leibe rückt, oder auch vor der wuchernden Bürokratie des Alltags, ist die notgedrungene, periodische Flucht aus dem privaten Leben. Schwierig, weil dieses das einzig wirkliche Leben ist, das man hat, Liebe und Freundschaft, Glück und Unglück, Kinder. Denn Schreiben ist nicht das Leben, es ist dessen Gegenteil. „Denn man soll nicht glauben, dass Bücher auch das Leben seien – eben so wenig wie mein Bild im Spiegel auch ich sei“, sagte Knut Hamsun, eine Einsicht, die ihn allerdings nicht daran hinderte, sich zum Schreiben regelmäßig vom ländlichen Familiensitz abzusetzen und in fremden Hotels fremder Städte einzumieten.

Die erste Fluchtbewegung, die bei mir schleichend einriss, war eine zeitliche. Der Rückzug vom Tag in die Nacht. Die Unsitte, nachts zu schreiben, etwa zwischen elf und fünf, plus/minus ein, zwei Stunden. Wegen der Ruhe, der Stille, wegen des ad acta gelegten Tages. Als müsse die reale Welt buchstäblich erlöschen, in Dunkelheit versinken, bevor die Sonne der Parallelwelt aufgehen kann.

Das zweite Fluchtmoment war ein räumliches. Das Verbleiben in der Provinz. Fernab vom Puls der Zeit. Von meinesgleichen. Die Vorstellung, etwa in Berlin auf Schritt und Tritt auf Schriftsteller zu stoßen, ist ein Alptraum. Natürlich ist der Unterschied zwischen Großstadt und Land im 21. Jahrhundert nur mehr ein quantitativer, kein qualitativer. Mit dem ersten Fernseher hört ein Dorf auf, ein Dorf zu sein, es ist fortan eine kleine Großstadt, ein kleines Stück große Welt mit den gleichen Träumen, den gleichen Waren, dem gleichen Menschentyp. Das große, traurige Werk der Gleichschaltung und Uniformierung der Welt nach westlich-amerikanischem Muster schreitet gewaltsam voran.

Und dennoch hat eine Kleinstadt ihren eigenen Reiz, kann in ihr ein Biotop entstehen, in dem man sich wohl fühlt. Eine Art Gemeinschaft. Man kennt sich, begegnet sich am Wochenmarkt oder im Lieblingscafé. Die üblichen Verdächtigen. Die immergleichen Rituale. Auch Unarten, etwa die perfide, mittägliche Schließung der Geschäfte just zu der Zeit, als ich mich nach durchgearbeiteter Nacht und durchschlafenem Vormittag an die Erledigung wichtiger Sachen machen will.

Auch als Autor ist man seinem Publikum näher. Wo anders als in einer Kleinstadt hätte es mir passieren können, dass eine Abiturientin, die wild entschlossen ist, ihre Facharbeit über meinen Roman zu schreiben, mich mit diskretem, aber beharrlichem Charme zwingt, zwecks Fotos für den Bildteil ihrer Arbeit alle Romanschauplätze Eichstätts mit ihr abzusuchen und auch die letzten Geheimnisse zu lüften.

Diesbezüglich habe ich mir allerdings angewöhnt, um nicht als Schlüsselromanautor belangt zu werden, Unangenehmes ausschließlich über Leute zu schreiben, bei denen ich mir sicher bin, dass sie nicht lesen. Inzwischen habe ich das Kleinstadtleben dermaßen perfektioniert, dass mich außerhalb meiner Kleinstädte kein Mensch kennt. Ich kann völlig unbehelligt durch Deutschland reisen ohne erkannt zu werden und ich gehe nur noch, wohin der Wind mich trägt. Aber er trägt mich nicht mehr, ich bin zu schwer geworden.