: „Das Buch riecht ja auch nicht“
Ein Gespräch mit Tom Tykwer, dem Regisseur von „Das Parfum“, über einen Serienkiller, der sich nach Liebe sehnt, das schnelle Verschmutzen und langwierige Säubern von historischen Straßenzügen und die Abneigung gegen Geruchskarten im Kino
Interview DIETMAR KAMMERER
taz: Herr Tykwer, die Verfilmung des „Parfum“ hat Sie fast drei Jahre beschäftigt, jetzt kommt der Film in die Kinos. Denken Sie: Endlich? Was war in der Rückschau für Sie die intensivere Auseinandersetzung mit dem Stoff: Die minutiöse Arbeit am Skript oder die Anstrengungen des Drehs mit einem Budget von 50 Millionen?
Tom Tykwer: Ich schau noch gar nicht zurück, ich bin noch mittendrin. Ich habe noch überhaupt kein retrospektives Gefühl zu diesem Film. Er ist wirklich gerade erst fertig, und für mich ist der Prozess auch erst dann abgeschlossen, wenn ich ihn mit einem Publikum erlebe. Das ist für mich Teil des Vorgangs des Filmemachens, dass man irgendwann in einem Raum sitzt mit Menschen, die einfach nur aus Neugierde gekommen sind und nicht, weil sie einen kennen.
Der Film sprengt alle Größenordnungen Ihrer bisherigen Erfahrungen als Regisseur. Bitte ehrlich: Wie oft hatten Sie in der langen Zeit den Wunsch, einfach alles hinzuschmeißen?
Nie. Nie in den drei Jahren. Das hängt mit der Sicherheit zusammen, mit der du dich zu Beginn für etwas entscheidest. Es ist ein Instinkt, den man über die Jahre entwickelt, dass man weiß, wenn man auch nur zehn Prozent Unsicherheit in sich trägt, sollte man ein Projekt nicht angehen. Dafür muss man eine ziemliche Ausdauer haben. Die Begeisterung, die man immer wieder für sich aufbaut, wäre nicht mehr aktivierbar, wenn sie von Anfang an ramponiert wäre.
Der Film ist aber auch eine Herzensangelegenheit von Bernd Eichinger. Wie geht man als Regisseur damit um, wenn der Produzent sich so sehr für einen Film begeistert? Im Presseheft lässt sich Eichinger immerhin zitieren: „Der Film sieht genauso aus, wie ich ihn mir immer vorgestellt habe.“
Das ist etwa das hundertste Mal, dass ich das beantworten muss, weil offensichtlich jeder an einen Konflikt zwischen uns beiden glaubt. Dazu kann ich nur sagen, ihr habt doch alle den Film gesehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man dem „Parfum“ irgendeine Art von Kompromisshaltung ansieht. Das ist ein Film, mit dem ich mich hundertprozentig identifiziere.
„Das Parfum“ ist ein hundertprozentiger Tom-Tykwer-Film?
In jeder einzelnen Einstellung, in jedem einzelnen Bild finde ich mich wieder. Der Film ist mir so nah wie wenige meiner Filme. Vor allem in der spezifischen Deutung dieser Figur, in der Art und Weise, wie sie uns geraten ist. Ich denke, wir haben das Buch adäquat gedeutet, aber der Film ist natürlich eine Interpretation, die sehr, sehr viel mit meiner persönlichen Lesart zu tun hat und mit der Nähe, die ich zu seiner Hauptfigur empfinde.
Hat Sie das nicht manchmal erschreckt: Nähe zu einem Mädchenmörder empfinden zu können?
Das ist ja gerade der Clou des Buches. Dass man Grenouille bis ans bittere Ende zur Seite steht. Uns war klar, wenn wir das nicht hinkriegen, brauchen wir den Film erst gar nicht zu machen. Die Literatur hat es in diesem Fall einfacher, sie hat Möglichkeiten, die nicht einfach aufs Kino übertragen werden können. Auf der Leinwand haben Handlungen eine viel größere Konkretion, während sie in einem Buch auf eine Weise beschrieben sind, die du als Leser immer noch interpretativ reinszenierst. Die Identifikationsgesetze im Film sind andere als in der Literatur. Bestimmte Sachen waren für mich einfach nicht machbar, ohne mich auf zu große Distanz zum Helden zu bringen.
Sie lassen die Filmfigur Grenouille um einiges menschlicher wirken als die Hauptfigur des Romans. Warum wollten Sie keinen kalten Serienkiller aus ihm machen, was im Kino ja auch denkbar wäre?
Ja, aber welcher Film über einen Serienkiller, der wirklich faszinierend ist, kommt mit ihm als einzigem Hauptdarsteller aus? Es gibt keinen. Es gibt immer ein Gegenüber, eine zweite Figur, die eingeführt wird, um die ungreifbare Figur greifbar zu machen. Aber Süskind ist das gelungen, und ich habe gemerkt, dass das nicht an irgendeinem literarischen Trick lag, sondern daran, dass die Motive, die Grenouille antreiben, welche sind, die zutiefst menschlich sind und die uns allen nahegehen. Nämlich sein verzweifeltes, oder wenn man so will: fanatisches Streben nach Anerkennung, seine Sehnsucht danach, wahrgenommen und geliebt zu werden.
Das führt ihn auf einen Irrweg, der für uns nachvollziehbar ist, weil er ein Ziel hat, das wir alle teilen. Wir sind den ganzen Tag von morgens bis abends damit beschäftigt, unser defizitäres Ego und unsere Vorstellung von uns selbst auf andere zu übertragen. Wir denken, alle anderen würden die ganze Zeit auch nur unsere Defizite sehen, und verzweifeln daran. Wir bilden uns ein, unser Gegenüber würde ebenfalls denken, dass wir nicht ganz so gut aussehend oder nicht ganz so schlau sind, wie wir es gerne wären. Also ziehen wir uns entsprechend an, stylen uns den ganzen Tag, um das wenigstens ein bisschen zu beeinflussen. Und mit Grenouille macht die Kunst das, was sie oft macht: Sie nimmt ein Extrembeispiel, sie steigert eine repräsentative Haltung ins Maximale.
Gab es eigentlich jemals die Versuchung, für den Film Geruchskarten zu verteilen, wie es John Waters für „Polyester“ eingeführt hat?
In den Achtzigern, als ich Filmvorführer war, habe ich „Polyester“ noch selbst vorgeführt und durfte diese Karten abends immer wieder einsammeln, in total verpesteten Kinos. Das war ekelhaft. Ehrlich gesagt, finde ich es eine ziemlich fantasielose und langweilige Vorstellung, hinzugehen und zu sagen, weil das „Parfum“ von Geruch handelt, soll der Film irgendwie riechen. Das Buch riecht ja auch nicht.
Ich hatte auch keinerlei Interesse, so eine Art Fantasyfilm daraus zu machen, in dem irgendwelche farbigen Nebelschwaden durch die Luft wabern und irgendetwas symbolisieren wollen. Oder digitale Duftatome, die Grenouille in die Nase flattern. Das hätte ich extrem einfallslos gefunden, und das war ja auch nicht der Punkt. Die Sprache des Films musste sich der Welt der Düfte sozusagen bemächtigen, und es ist die Aufgabe des Filmemachers, das hinzukriegen.
Sie haben gesagt, dass Sie fast alle historischen Filme langweilig finden und einen Film drehen wollten, der dem historischen Setting treu ist und dennoch in einer modernen Filmsprache erzählt wird. Wie vermeidet man, dass doch ein Kostümfilm draus wird?
Das setzt voraus, dass man vor einem Kostümfilm Angst haben sollte. Natürlich hat man diese Sorge bei Kostümfilmen, dass da irgendetwas Staubiges, Theatralisches und potenziell Langweiliges auf einen zukommt. Das geht mir genauso wie vermutlich den meisten Kinobesuchern, dass ich Kostümfilme auf eine bestimmte Weise bewegungsarm, unmodern und miefig finde. Weil in ihnen nicht eine Art von Realitätsgefühl aufflammt, das uns mitreißt und uns in eine Welt mitnimmt. Da bleibt immer eine eigenartige, bühnenhafte Distanz. Und Bühne im Kino ist immer schrecklich, da gehe ich lieber ins Theater, weil ich dort wenigstens die Unmittelbarkeit der Präsenz der Schauspieler habe.
Unsere Maßgabe war, diesen Film so aussehen zu lassen, als wäre man einfach da. Also niemals irgendetwas auf einem Präsentierteller auszustellen, sondern alles so zu behandeln, als wäre es wirklich vorhanden. Was de facto ein unvorstellbar komplizierter Vorgang war. Alles musste erst hergestellt werden, jedes Gebäude musste dekoriert werden. Wir wollten das Gefühl erzeugen, als wären wir in eine Zeitmaschine geraten, hätten zufällig ein Kamerateam dabeigehabt und hätten im 18. Jahrhundert überall drehen können. Damit der Zuschauer ein Gefühl von Normalität bekommt. Die Normalität dieser Architektur, die Normalität des Schmutzes. Eben dieser historischen Wirklichkeit.
Im Abspann wurde eine „Dirt Surface Crew“ erwähnt. Klingt wie der Name einer Rockband.
Das war eine extrem wichtige Einheit in der Abteilung Szenenbild. Man darf nicht vergessen, dass sie nicht nur eine wahnsinnige Arbeit damit hatten, die ganzen Wände und Oberflächen, die wir ja zum Teil in echten Städten gefunden haben, so zu bearbeiten, dass sie dreckbesudelt sind. Unmittelbar nachdem wir fertig waren, mussten sie auch alles wieder abwaschen. Das Saubermachen ist die ungleich größere Arbeit, dreckig machen geht meistens schneller. Natürlich waren die Städte sehr darauf bedacht, dass wir ihre musealen Straßenbilder nicht für immer in ein Inferno verwandeln.
Wie in allen Ihren Filmen haben Sie auch für diesen die Filmmusik selbst komponiert, zusammen mit Johnny Klimek und Reinhold Heil. Ist das etwas, was Sie einfach gerne tun, oder ist das nicht zu trennen von ihrer Arbeitsweise als Filmemacher?
Das ist absolut integral für mich, das würde ich nie abgeben. Die Musik eines Films zu finden ist für mich dasselbe wie seine Bilder zu finden. Ich finde die Bilder oft erst durch den kompositorischen Vorgang. Die Komposition transportiert die Atmosphäre des Films. In diesem Fall haben wir es glücklicherweise wieder so hingekriegt, wie ich es mir wünsche, nämlich zu komponieren, noch während man das Drehbuch schreibt. Als wir anfingen zu drehen, war die Musik zum größten Teil schon fertig. Wir konnten sie während des Drehs einspielen, und die Schauspieler konnten auf die Musik reagieren.
Kennen Sie die Zahl der Nasen-Close-ups in Ihrem Film?
Keine Ahnung. Waren es so viele? Ich glaube, das kommt einem nur so vor.