: Am Hörer des Vertrauens
Vor 50 Jahren wurde die Telefonseelsorge Berlin als erste in Deutschland gegründet. Einst war sie vor allem Vermittlungsstelle bei Behördenfragen. Heute ist das Thema Einsamkeit häufigster Grund für ein Gespräch mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern
Von Elisabeth Rank
„Die Arbeit bei der Telefonseelsorge hat mir einen völlig neuen Blick auf das Leben anderer Menschen gegeben“, sagt Ute Vogelsang. Seit zwölf Jahren arbeitet die 66-Jährige bei der Telefonseelsorge Berlin. Sie ist eine von 120 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dafür sorgen, dass das Telefon im Neuköllner Büro des Vereins rund um die Uhr besetzt ist.
In diesen Tagen wird die Telefonseelsorge 50 Jahre alt. Für den Verein Grund genug, eine Stiftung zu gründen. Man wolle die Arbeit der nächsten 50 Jahre finanziell abgesichert wissen, sagt Geschäftsführer Jürgen Hesse.
1956 gründete der Pfarrer, Arzt und Psychotherapeut Klaus Thomas in Westberlin die erste Telefonseelsorge Deutschlands. Noch mit seiner Privatnummer und einer kleinen Gruppe von Helfern richtete er ein kleines Büro in Charlottenburg ein, in dem Menschen auch persönlich vorbeikommen konnten. Schon in den ersten drei Monaten erreichen Thomas 616 Anrufe. Vor allem Sorgen mit Geld oder Behörden sind damals für viele ein Grund gewesen, den Hörer abzuheben und die Nummer der Seelsorger zu wählen, erzählt der stellvertretende Vorsitzende Christoph Rhein. „Damals sind wir oft einfach Vermittlungsstelle gewesen.“
Heute ist die Telefonseelsorge Berlin ein eingetragener Verein, der zu 60 Prozent aus Spenden finanziert wird. Weitere 20 Prozent sponsert der Senat. Der Rest kommt durch Sonder- und Bußgeldzuweisungen sowie die evangelische Kirche in die Kasse. Trotz finanzieller Hilfe unterliege die Telefonseelsorge Berlin nicht einer Kirche, betont Rhein.
Darin unterscheidet sie sich von den rund 120 anderen Telefonseelsorgen in Deutschland. Die Satzung beruhe zwar auf christlicher Grundlage, so Rhein. Jedoch solle sich jeder auf seine Weise zuordnen können. Etwa 700 Anrufer zählt die Telefonseelsorge am Tag. 90 Prozent davon bekommen jedoch ein Besetztzeichen zu hören. Denn nur gut 70 Anrufe können entgegengenommen werden. Aus diesen entstehen ungefähr 50 Gespräche. Mehr als die Hälfte der Anrufer seien Frauen, das Alter liege im Durchschnitt zwischen 40 und 50 Jahren, berichtet Jürgen Hesse. Das Thema Einsamkeit führt die Tabelle der Gründe für einen Anruf an. In der letzten Zeit sei aber auch oft Arbeitslosigkeit Gesprächsthema gewesen, so Vogelsang.
Ute Vogelsang hat bei der Telefonseelsorge angefangen, weil ihr der Austausch mit Menschen fehlte. Nach persönlichen Krisen habe sie es auch dank der Telefonseelsorge immer wieder geschafft, „sich aufzuraffen“. Nun, sagte sie sich, sei der Moment gekommen „anderen etwas zurückzugeben.“
Die Ausbildung bei der Seelsorge dauert 18 Monate. „In dieser Zeit geht es vor allem darum, auf sich selbst zu schauen und sich zu fragen, ob man einer solchen Aufgabe gewachsen ist“, erklärt Sonja Müseler, die für die Ausbildung verantwortlich ist. Zwei Phasen müssen die Bewerber durchlaufen, bevor sie das erste Mal ans Telefon dürfen. In der ersten sollen sich die Bewerber in der Gruppe erleben und reflektieren, wie sie mit besonderen Lebenssituationen umgehen. In der zweiten Phase wird dann das Zuhören gelernt, denn „das ist oberste Priorität“, so Müseler. Zuhören sei nicht nur den Mund zu halten, sondern genau zu durchschauen, worum es bei dem Gespräch eigentlich ginge.
Eine Altersbegrenzung gebe es für die Mitarbeit nicht. Wichtig sei vor allem eine eigene Balance und die Fähigkeit, mit den teilweise schockierenden Schicksalen der Anrufer umgehen zu können. Bewirbt sich jemand, der erst 20 ist, bekäme dieser „die gleiche Chance“ wie jemand in einem höheren Alter. Das Wichtigste bei der Arbeit am Telefon sei, dass die Anrufer sich an- und ernstgenommen fühlen. Private Details sollen die Mitarbeiter nach Möglichkeit nicht erwähnen. Und trotzdem baue sich hin und wieder so etwas wie eine persönliche Bindung auf, berichtet eine andere Mitarbeiterin, die seit 18 Jahren dabei ist.
„Möglicherweise habe ich von der Arbeit hier mehr profitiert als die Anrufer“, sagt Ute Vogelsang über ihr Ehrenamt. Sie frage sich auch oft, was sie den Menschen eigentlich antworten soll: „Manchmal komme ich mir wirklich hohl vor, wenn ich jemandem in Berlin noch Perspektiven aufzeigen soll, nachdem er schon alles probiert hat.“ Das Ehrenamt empfinde sie als wirkliche Ehre, denn es sei selten, dass jemand einem so viel Vertrauen entgegenbringe wie die Anrufer.
Heute findet zum 50. Geburtstag der Telefonseelsorge Berlin ab 14 Uhr ein Symposium in der Urania statt. Am Sonntag gibt es ein Jubiläumskonzert im Kammermusiksaal der Philharmonie. Die Nummer der Seelsorge ist 08 00–1 11 01 11.