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Archiv-Artikel

Aufstand in der roten Hochburg

taz-Serie „Bezirkssache“ (Teil 12 und Schluss): In Lichtenberg gibt es nicht nur Neonazis und Plattenbauten. Es ist auch der erste Bezirk mit einem Bürgerhaushalt und einem Bürgerentscheid. Die geplanten Schulschließungen könnten der PDS am Sonntag die bisherige absolute Mehrheit kosten

„Hoffentlich bekommt die PDS für ihre Politik eine gesalzene Rechnung“

Von Plutonia Plarre

Neonazis, Stasi, Platte. Das ist in der Regel das, was Außenstehenden zu Lichtenberg spontan einfällt. Bloß schnell weg hier, sagt eine innere Stimme, wenn man, aus dem Westen kommend, mit dem Auto in nordöstlicher Richtung entlang von NPD-Wahlplakaten stadtauswärts eilt. Der Haken ist nur: Wer immer nur „Transit“ fährt, wird nie in der Lage sein, seine Vorurteile zu überprüfen. Lichtenberg – seit 2001 mit Hohenschönhausen vereint – ist wesentlich bunter und vielfältiger, als es dem flüchtigen Betrachter erscheint.

Zum Beispiel Karlshorst: Die Bürger des grünen Ortsteils proben den Aufstand gegen die PDS. Die PDS, die in der Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung mit 51,8 Prozent die absolute Mehrheit hat und die Bezirksbürgermeisterin stellt, will das Hans-und-Hilde-Coppi-Gymnasium in Karlshorst schließen. „Ich bin so was von enttäuscht“, schimpft die Gesamtelternvertreterin der Coppi-Schule, Angela Deppe. „So was nennt sich sozial und gerecht.“

Karlshorst hat sich seit den 90er-Jahren zu einem begehrten Wohngebiet entwickelt. Insbesondere Familien mit Kindern zieht es dort wegen zahlreicher neuer Siedlungsprojekte und des Baus vieler Ein- und Zweifamilienhäusern dorthin. Kein Wunder, dass Schulen und Bildung bei den Anwohner hoch im Kurs stehen. Bislang war Karlshorst eine PDS-Domäne. Die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch (PDS) holte dort bei der letzten Wahl ihr Direktmandat. Auch Angela Deppe, Mutter zweier Söhne, hat in der Vergangenheit immer PDS gewählt. Bei welcher der linken Parteien sie am Sonntag ihr Kreuzchen macht, weiß sie noch nicht. Fest steht nur eines: auf keinen Fall bei der PDS. „Hoffentlich bekommt die PDS für ihre Schulschließungspolitik eine gesalzene Rechnung“, wünscht sich Deppe. Aber noch wichtiger als ein schlechtes Wahlergebnis in Prozentpunkten ist der engagierten Heimerzieherin natürlich, dass der Bürgerentscheid für den Erhalt des Coppi-Gymnasiums am Standort Karlshorst durchkommt.

Vor dem Hintergrund stadtweit sinkender Schülerzahlen plant das PDS-geführte Bezirksamt eine komplizierte Schul-Rochade. Betroffen davon wären drei Gymnasien in Lichtenberg: Das Kant-Gymnasium in Rummelsburg, das Forster-Gymnasium in Friedrichsfelde und eben das Coppi-Gymnasium in Karlshorst. Das musikbetonte Coppi-Gymnasiums soll mit dem Kant-Gymnasium an dessen Standort in der Lückstraße fusioniert werden. Das naturwissenschaftlich ausgerichtete Forster-Gymnasium soll eigenständig bleiben und an den Standort des Coppi-Gymnasiums in Karlshorst umziehen.

Gegen diese Fusion hatte eine Initiative aus Eltern, Lehrern, Schülern und Anwohnern ein Bürgerbegehren gestartet. Nach dem von 12.000 gesammelten Unterschriften mehr als 6.000 für gültig befunden worden sind, werden die Lichtenberger am kommenden Sonntag am ersten Bürgerentscheid Berlins teilnehmen. Im Gegensatz zu den übrigen Berlinern werden sie statt mit vier mit fünf Wahlzetteln zur Abstimmung schreiten. Wer auf dem fünften Zettel, orange wie der Zettel für die BVV-Wahl, bei dem Buchstaben A sein Kreuzchen macht, votiert dafür, das Coppi-Gymnasium am Standort Karlshorst zu erhalten. 15 Prozent aller Lichtenberger Wahlberechtigten müssen sich an der Abstimmung beteiligen, die einfache Mehrheit entscheidet.

Das Rathaus Lichtenberg, ein backsteinroter neugotischer Bau mit Staffelgiebel, wirkt von außen wie eine Trutzburg. Im ersten Stock residiert ChristinaEmmrich. Die 58-jährige gelernte Messtechnikerin mit den roten Haaren ist seit 2002 Bezirkschefin. Auf die Frage, was ihr Markenzeichen ist, antwortet die gebürtige Leipzigerin, die in einem Neubaugebiet aufgewachsen ist und in Höhenschönhausen in der Platte wohnt: „direkte Demokratie“. Lichtenberg war der erste Bezirk, der einen Bürgerhaushalt aufgestellt hat. In anderen Bezirken entscheiden die Verordneten, wofür ein Bezirk sein Geld ausgibt. In Lichtenberg konnten die Bürger Vorschläge für den Etat 2007 einreichen. 4.000 Menschen haben sich beteiligt. 42 von über 200 eingegangenen Vorschägen werden umgesetzt. Investiert wird zum Bespiel in den Ausbau von Radwegen und in eine Skateranlage.

Christina Emmrich ist nicht der Typ Mensch, der sich mit langen Vorreden aufhält. „Wenn der Bürgerentscheid für das Coppi-Gymnasium durchkommt, müssen wir eben ein anderes Gymmnasium zumachen.“ Punkt. Aus. So einfach ist das. Und wenn die PDS ihre absolute Mehrheit verliert und die Zählgemeinschaft den SPD-Spitzenkandidaten Andreas Geisel zum Bürgermeister bestimmt? „Über das Wahlergebnis rede ich nach der Wahl.“

Der 40-jährige Diplomingenieur Geisel ist als SPD-Stadtrat für die Ressorts Bauen,Umwelt und Gesundheit zuständig. „Ich stehe für eine bunten, toleranten, vielfältigen kinder- und familienfreundlichen Bezirk“, sagt er. Von dem geplanten Umzugskarusell Coppi-Schule zu Kantschule und Forster zu Coppi hält Geisel, selbst Anwohner in Karlshorst, nichts. Deshalb unterstütze die SPD auch das Bürgerbegehren. Dass sich Emmrich den Bürgerhaushalt auf die eigenen Fahnen schreibt, findet er „ein bisschen anmaßend“. Das sei das Werk aller Parteien.

Andere politische Gegner aus dem linken Lager, die nicht genannt werden wollen, sehen das anders. Emmrich habe bei der Einführung des Bürgerhaushalts eine große Vorreiterrolle gespielt, heißt es anerkennend. Geisels Qualität liege darin, dass er sich als Person besser verkaufen könne als die Bürgermeisterin. Er sei deshalb wertvoll für die Außendarstellung des Bezirkes.

Wahlkampf hin oder her: In einem sind sich Emmrich und Geisel einig. Sie werden an einem Strang ziehen, wenn die NPD es schaffen sollte, mit der Wahl in die BVV einzuziehen: „Die NPD wird keinen Einfluss auf die politischen Entscheidungen bekommen. Wir werden ihnen Paroli bieten, ohne ihnen eine Bühne zu bieten.“