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Archiv-Artikel

Mit dem roten Cowboyhut zur Feier

Die drei ersten nach dem Krieg wieder in Deutschland ausgebildeten Rabbiner wurden in der Dresdner Synagoge ordiniert. „Ein Platz für das liberale Judentum“. Vertreter des Reformjudentums aus den USA kamen zum Festakt

DRESDEN taz ■ Von der eigentlich erwünschten „Normalität“ war die gestrige Ordination in Deutschland ausgebildeter Rabbiner noch weit entfernt. Am Eingang zur neuen Dresdner Synagoge gab es langwierige Sicherheitschecks wie auf einem Flughafen, mit Sprengstoff-Spürhunden und Absperrungen sogar der angrenzenden Straßenbahnhaltestelle. Die Festschrift zählte 115 Seiten Grußworte. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck und sein sächsischer Kollege Georg Milbradt waren erschienen.

Nach fünfjähriger Ausbildung am Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam wurden gestern zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland wieder Rabbiner ordiniert. Die drei Ordinierten hatten eine fünfjährige Ausbildung am Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam durchlaufen. „Ein großer Tag für das Judentum in Deutschland“, sagte Milbradt strahlend in die Mikrofone. Dieter Graumann, Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, sprach von einem „Freuden- und Festtag“.

Nur die drei Ordinierten, der Deutsche Daniel Alter, der Tscheche Tom Kucera und der Südafrikaner Malcolm Mattitiani, schienen erschöpft von den endlosen Interviewwünschen und Begrüßungen. Erst nach der Übergabe der Ordinationsurkunden im Gottesdienst löste sich bei ihnen die Spannung und hier und da eine Träne. Ähnliche Rührung zeigten zahlreiche Gäste in einem Gottesdienst, der über die uralten Rituale hinaus Fröhlichkeit versprühte.

Die Anteilnahme lässt sich vor allem mit dem Aufbruchssignal erklären, das die Rabbinerausbildung nun auch wieder für das jüdische Leben in Deutschland setzt. Erst 1999 wurde das Abraham-Geiger-Kolleg an der Universität Potsdam gegründet. Sein Namensgeber war im 19. Jahrhundert einer der Pioniere eines reformierten Judentums und lehrte seit 1871 an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. Die Hochschule wurde 1942 von den Nazis geschlossen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Rabbiner in Deutschland ausschließlich aus den USA, Israel oder Großbritannien.

Die durch Zuwanderung aus Russland stark gewachsenen Jüdischen Gemeinden in Deutschland „hungern nach rabbinischer Betreuung“, klagt Zentralrats-Vizepräsident Graumann. „Wir könnten 30- oder 40-mal mehr Kandidaten gebrauchen!“ Nach Schätzungen sind etwa 120.000 Juden in Deutschland religiös aktiv. Allein in Sachsen ist die Zahl der Gemeindemitglieder von 107 im Jahr 1989 auf derzeit 2.500 gewachsen.

Der Zentralrat der Juden wolle zwar „politisch mit einer Stimme sprechen“, so Graumann, und alle Glaubensrichtungen integrieren. Zugleich gehe es aber auch darum, „dem liberalen Judentum einen Platz zu verschaffen“. Walter Homolka, Direktor des Abraham-Geiger-Kollegs, begründet so auch die Wahl Dresdens als Ort der Ordination. Dafür war nicht nur der Synagogen-Neubau maßgeblich, es gehe auch darum, „zu zeigen, wie eine Gemeinde funktioniert“. Die Spannungen zwischen orthodoxen und liberalen Richtungen sind hier weniger ausgeprägt als etwa in Chemnitz oder Leipzig.

Beim Ordinationsgottesdienst gestern spielten beispielsweise Orgel und musikalische Umrahmung eine wichtige Rolle. Frauen sind in die liturgischen Zeremonien einbezogen. Betreuer und Präsentator des Deutschen Daniel Alter war der liberale Gründungsrektor des Geiger-Kollegs, Professor Allen H. Podet aus Buffalo, der durch seinen roten Stetson auffiel. Mehr als 30 Amerikaner waren angereist, darunter der deutsche Honorarkonsul Richard Schade aus Cincinnati, dem Zentrum des amerikanischen Reformjudentums. MICHAEL BARTSCH