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Archiv-Artikel

Emanzipierte Medizin

Alchemilla in Hamburg ist die einzige selbstverwaltete Heilpraktikerschule Deutschlands, an der nur Frauen zugelassen sind. In diesem Monat wird sie 20 Jahre alt

In einer Frage sind sich die Frauen einig: Männer gehören nicht in die Alchemilla

In der hellen Altbauwohnung deutet wenig auf eine Schule hin. Ein Sofa steht in der großen Küche, und ein Regal mit verschieden bunten Tassen. Die Waschmaschine läuft gerade. Gegenüber ist das Büro, daneben das Behandlungszimmer und weiter hinten den Gang entlang der große Unterrichtsraum. Er ist mit einem weißen Teppich ausgelegt, links neben der Tür steht ein Klavier und statt Stühlen liegen hier Sitzkissen und -bälle herum. In diesem Raum lernen die rund 30 Schülerinnen der „Alchemilla“- Heilpraktikerschule, der einzigen Deutschlands, die selbstverwaltet und nur für Frauen zugänglich ist.

„Die Frauen wollten nicht mehr abhängig sein vom Urteil einer männlich geprägten Medizin und Wissenschaft“, erklärt Janna Pommerinka, Schülerin im zweiten Jahr, wie es vor zwanzig Jahren zur Gründung der Schule kam. Die Heilpraktikerin Irmhild Kaiser, die bis heute an der Alchemilla unterrichtet, war damals dabei. „Es war ein Projekt aus der Frauenbewegung heraus“, erzählt sie. „Die Frauen wollten innerlich reifen und verstehen, was es bedeutet, zu heilen.“ Damals kamen Mädchen, Mütter und Lesben aus ganz Deutschland zur Alchemilla nach Hamburg, so Kaiser, um am Projekt einer alternativen und autonomen Frauenschule mitzuerleben. Die fachliche Ausbildung zur Heilpraktikern war damals noch zweitrangig.

Irmhild Kaiser erinnert sich an lange, emotionsgeladene Diskussionen der ersten Jahrgänge an der Alchemilla. „Es ging um die Fragen, ob nur Lesben an der Alchemella unterrichten dürfen. Oder ob wir auch Transsexuelle aufnehmen“, zählt sie auf. Irgendwann habe sie genug diskutiert und wollte endlich die Prüfung machen. Die heute 47-Jährige war die erste Schülerin der Alchemilla, die sich den Fragen der Ärztekammer stellte. Vielen anderen sei es schwerer gefallen, von der Idee der Selbsterfahrung und des Ausprobierens den nächsten Schritt zu tun. „Irgendwann muss man auf der Erde ankommen und sich mit der Praxis auseinander setzten,“ sagt Kaiser.

Heute ist die dreijährige Ausbildung an der Alchemilla deswegen strukturierter als damals. Der Unterricht zu den medizinischen Grundlagen, zum Beispiel Organlehre, Anatomie oder Pathologie, bereitet auf die Prüfung vor der Ärztekammer vor. Nur wer sie besteht, darf sich Heilpraktikerin nennen. Zusätzlich kann jede Frau verschiedene Therapiefächer wie Pflanzenheilkunde, Massage oder traditionelle chinesische Medizin wählen. Doch eines hat sich nicht verändert. „Bis heute geht es auch um die Selbstbestimmung der Frauen“, erklärt die Schülerin Vaneza Wirth. „Wir wollen zwar alle die staatliche Prüfung bestehen, aber vor allem wollen wir den eigenen Körper zurückerobern und Selbstheilung erlernen.“

Auch die Selbstverwaltung der Alchemilla durch die Schülerinnen ist erhalten geblieben. Sie wechseln sich bei Büroarbeiten, Organisation und Putzdienst ab. „Dadurch ist die Ausbildung vergleichsweise günstig“, sagt Andrea Gentner, angehende Heilpraktikerin. Sie räumt ein, dass die demokratische Abstimmung in vielen Fragen auch heute noch zu ausgedehnten Diskussionen führt. In einer Frage sind sich die Frauen jedoch zu jeder Zeit einig: Männer gehören nicht in die Alchemilla. Und das liegt nicht nur an den Massagekursen für Bauch, Beine und Po. „Wir erzählen uns im Unterricht gegenseitig auch sehr persönliche Dinge und erfahren Heilweisen miteinander,“ sagt Andrea Gentner. Mit Männern im Raum, wären viele Frauen sicher verschlossener.

In die schuleigene Praxis kann jedoch jeder zur Behandlung kommen. Hier üben sich die Schülerinnen unter Aufsicht praktizierender Heilpraktikerinnen. Dabei lernen sie, den Körper in seiner Gesamtheit zu sehen und nicht nur punktuell die Symptome einer Krankheit zu bekämpfen: Heilpraktiker verstehen die Heilung als eine Bewegung des Menschen hin zu einem selbstverantwortlicheren Umgang mit sich selbst.

Silke Bigalke

Morgen ab 11 Uhr informiert die Alchemilla über die Ausbildung zur Heilpraktikerin. Weitere Infos unter www.alchemilla.de