: Masern leben noch
Mediziner warnen, dass die Impfraten in Hamburg unzureichend sind. Zehn Prozent der Kinder hätten nicht einmal einen Impfausweis. Auch das Ziel der Weltgesundheitsorganisation, gefährliche Krankheiten auszurotten, werde nicht erreicht
Von ELKE SPANNER
Einmal hat es bereits geklappt: Das Pockenvirus gilt als ausgerottet. Während eine Pockeninfektion im 18. Jahrhundert noch als gefährliche Krankheit galt, an der jährlich um die 400.000 Menschen weltweit starben, trat die letzte Infektion 1977 in Somalia auf. Denn in den vergangenen Jahrzehnten wurde gegen Pocken fast flächendeckend geimpft.
Derzeit ist es Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO), auch Masernerreger zu tilgen. Der Weg dahin ist aber noch weit, denn die Durchimpfungsrate gegen die Krankheit ist gering. Auch in Hamburg, so Andreas Plettenberg vom „Institut für interdisziplinäre Medizin (ifi)“, sind weniger als 80 Prozent aller Kinder gegen Masern immunisiert. Das ifi schreibt nun an Schulen einen Präventionspreis aus, für den Schüler einander zum Impfen motivieren sollen.
Das Impfen verfolgt zweierlei Zweck: Zum einen bietet es dem einzelnen Patienten Schutz gegen eine Krankheit, die im Akutfall schwere Folgen haben kann. Darüber hinaus wird das Impfen auch gesundheitspolitisch angeraten, um schwerwiegende Krankheiten zu eliminieren. Das Wissen um die Relevanz des Immunisierens aber scheint in der Bevölkerung begrenzt. In Hamburg ist es dadurch messbar, dass im Jahr 2003 die Schuleingangsuntersuchung wieder eingeführt wurde. Die Schulärzte lesen sich auch den Impfpass der Mädchen und Jungen durch. Dabei zeigte sich in den vergangenen Jahren, dass rund zehn Prozent aller Hamburger Kinder nicht einmal einen Impfausweis besitzen.
Insgesamt wurde die Impfrate zwischen 2004 und 2005 zwar erhöht. Für die meisten empfohlenen Impfungen beträgt sie inzwischen mehr als 90 Prozent. Für Hepatitis B aber betrug sie in Hamburg 2005 nur 84 Prozent. Und die empfohlenen Zweitimpfungen gegen Masern, Mumps und Röteln erfolgten nur bei 78-79 Prozent aller Kinder. Die Grundimpfungen bei Kindern, so Plettenberg, sollten eigentlich mit dem zweiten Lebensjahr abgeschlossen sein. Tatsächlich werde eine „akzeptable Durchimpfung“ aber erst im dritten bis vierten Lebensjahr erreicht.
Die „ständige Impfkommission“ am Robert-Koch-Institut (STIKO) gibt jährlich Empfehlungen zur Immunisierung gegen Krankheiten heraus. Für das Jahr 2006 hat die STIKO angeraten, alle Babies im ersten Lebensjahr gegen Pneumokokken zu impfen, die eine schwere Lungen- und Hirnhautentzündung verursachen können. Hier sei die Prävention besonders wichtig, erklärt Christine Czaja-Harder vom Krankenhaus St. Georg, weil die Behandlung der ausgebrochenen Krankheit immer schwieriger werde: Der Erreger wird gegen Antibiotikum zunehmend resistent.
Außerdem empfiehlt die STIKO, im fünften bis sechsten Lebensjahr eines Kindes die Impfung gegen Keuchhusten aufzufrischen. Zudem sollten Kinder im zweiten Lebensjahr gegen Meningokokken geimpft werden, die ebenfalls Hirnhautentzündung verursachen können. Die Altersverteilung bei Erkrankungen zeigt einen klaren Häufigkeitsgipfel bis zum zweiten Lebensjahr und einen zweiten – etwas geringer ausgeprägten – zwischen 15 und 19 Jahren. Wichtig wäre also eine Auffrischung der Impfung bei Jugendlichen – und das, so Plettenberg vom ifi, sei ein Problem: Aus Unkenntnis und wegen „irrationaler Ängste“ seien viele junge Menschen für Impfungen nur „schwer zugänglich“.
Dass die Impfraten nach Überzeugung von Immunologen zu wünschen übrig lassen, liegt auch daran, dass deren Zweckmäßigkeit umstritten ist. Da infolge von Impfungen immer wieder Komplikationen und Spätfolgen auftreten, raten andere Fachleute vom Impfen eher ab. Rund fünf Prozent aller Bundesdeutschen, so Plettenberg, gelten als „Impfgegner“. Er hält die Bedenken für unbegründet, weil die Gesundheitsgefahr im Falle einer Erkrankung in der Regel größer sei. Doch selbst bei den Krankenkassen, moniert er, sie die Bereitschaft zur Prävention begrenzt. Außer den Standardimpfungen werden nicht alle Immunisierungen von den Kassen bezahlt – wobei die Impfung, so Plattenberg, meist sehr viel billiger als eine eventuelle spätere Krankenbehandlung ist.